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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
Autoren: Milena Moser
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    1. Teil
     
    Was zum Teufel tun wir hier?

     
    Sie setzte sich auf das schmale Bett. Es war hart. Ein schwerer Metallrahmen, mit der Wand verschraubt. Darauf eine Matratze, mit Plastik überzogen, Kissen, eine breite nordische Decke. Unter dem Fenster, über die ganze Wandbreite, ein Tisch aus Beton, ein Hocker, ebenfalls aus Beton, unverrückbar. Ein gelbes Kissen lag darauf. Das Fenster vergittert. Eine blasse Sonne schien herein. Auf dem Tisch ihr Essgeschirr aus blauem Plastik. Besteck aus Plastik. Gelbe Bettwäsche, ein blauer Pyjama. Waschlappen, Handtuch, zwei Putzlappen. Sie sollte das Bett machen, hatte man ihr gesagt. Sie stand auf, nahm die Bettwäsche vom Tisch und bezog das Kissen. Dann setzte sie sich wieder hin. Der Plastiküberzug der Matratze quietschte. Sie saß auf der Pritsche, ihre Hände baumelten zwischen den Knien. An der gegenüberliegenden Wand ein Waschbecken, ein Spiegel aus Metall. Eine offene Dusche. Die Toilette immerhin hatte eine Tür. Die Wände waren aus Beton, grau gestrichen, die Betonmaserung schimmerte durch. Sie hatte in Designerhotels übernachtet, die solche Wände hatten. Sie dachte an Peter, ihren geschiedenen Mann.
    «Du brauchst eine halbe Stunde», hatte er immer gesagt, «und schon hast du jeden Raum verwüstet.» Hier würde ihr das nicht passieren. Hier könnte sie es nicht einmal. Selbst wenn sie das wollte.
    Sie atmete aus. In dieser Zelle war nichts. Nichts, das sie verlieren, nichts, das sie herumliegen lassen konnte. Keine Bücherstapel, keine Kleiderhaufen, keine schlecht verschlossenen Tuben, keine ungelesenen Zeitungen, keine Haarknäuel, nichts.
    Man hatte ihr alles abgenommen. Jede Entscheidung, jeden Gedanken. Sie hatte einen blauen Trainingsanzug bekommen, Unterwäsche, Socken, Turnschuhe mit Klettverschluss. Eine Zahnbürste, ein Stück Seife. Die Glocke schrillte, sie stand auf. Man sagte ihr, was sie zu tun hatte. Im Wesentlichen nichts.
    Sie atmete ein und richtete sich auf. Sie hob den Kopf. Hier würde sie bleiben.
    So könnte es gehen, dachte sie.
    So könnte sie leben.

dra ṣṭṛ d ṛś yayo ḥ sa ṃ yogo heyahetu ḥ
    Alles Leiden beruht auf einem Missverständnis:
    das Wahrgenommene
    mit dem Wahrnehmenden gleichzusetzen.
    Patanjali Yoga Sutra 2 . 17

     
Nevada
     
    Sie stand im Hund, und sie fiel auf die Schnauze.
    Hinabschauender Hund. Gähnender Hund. Totgeschossener Hund.
    Als Kind hatte sie einmal ein Bild gesehen, in einer Zeitschrift. Ein versehentlich getroffener Jagdhund. Er lag auf der Seite, dunkles Blut auf dem nassen Herbstlaub unter ihm wie eine Decke. Die Vorderpfoten waren angewinkelt, eng an den Körper gezogen und nach innen gekrümmt, als versuchte er zu beten.
    Hier lag sie nun. Nevada, die Schneebedeckte. Auf der abgewetzten blauen Yogamatte, die ihr Zuhause war. Ihre Nase drückte gegen den weichen Kunststoff, das Blau flimmerte vor ihren Augen, sie schloss sie.
    Endlich schlafen, dachte sie. Einfach liegen bleiben. Nie mehr aufstehen. Seit Wochen quälte sie diese Schwere, als hätte sich die Erdanziehungskraft vervielfacht, sie konnte kaum die Arme heben, den Kopf aufrecht halten. Jede Bewegung kostete sie Kraft, die sie nicht mehr hatte. Seit einigen Wochen wachte sie außerdem jeden Morgen auf wie der tote Jagdhund auf dem Bild: die Handgelenke nach innen geknickt, die Finger gegen die Handflächen gezogen wie von einem Gummiband im Innern der Arme. Das Band war zu kurz. Es spannte, es juckte. Manchmal zog es plötzlich an, im nächsten Moment war es überdehnt, und ihre Finger schlackerten. Der Schmerz war als solcher kaum zu erkennen, ein unterirdisches Summen, aushaltbar, aber konstant. Manchmal flammte ein Jucken auf, das sich zum Stechen steigern konnte. Elektrische Leitungen spannten sich zu den Ellbogen hinauf, den Schultern. Ein Surren, Summen, etwas wie Zahnweh, nur eben in den Händen. Sie ertappte sich immer öfter dabei, wie sie die Hände rang. Wie die Mutter Gottes, dachte sie, und dann: Wo kommt das bloß her? Betete sie nicht seit zehn Jahren vor den Altaren hinduistischer Gottheiten? Mit einer Hand umfasste sie ihr Handgelenk und presste es sanft zusammen, als ließen sich die Nervenenden zurückdämmen. Als ließe sich der Schmerz ins Innere des Körpers zurückdrängen, dorthin, wo er wohnte, dorthin, wo er schlief.
    Nevada war sechsunddreißig Jahre alt und Yogalehrerin. Sie stand jeden Morgen um fünf Uhr auf und übte zwei Stunden lang für sich. Sie unterrichtete jeden Tag, manchmal
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