Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Das gütige Väterchen und der Deutsche! Wer hätte das gedacht? Man muß ein Auge auf sie haben.
    Er seufzte und richtete sich darauf ein, die nächsten zehn Tage seine Drahtseilnerven zu gebrauchen.
    Forster und Karsanow hatten in den letzten zwei Stunden kein Wort miteinander gesprochen. Pal Viktorowitsch las in einem Buch, das ›Die Helden vom dunklen Fluß‹ hieß und beschrieb, wie vier tapfere Geologen die Einöden Kamtschatkas überwanden und dabei reiche Bodenschätze entdeckten. Es war ein schönes Buch aus der Pionierzeit Sibiriens.
    Forster blickte aus dem Fenster. Die Sonne war durch die Wolken gebrochen, das ertrunkene Land sah jetzt freundlicher aus. Die Dörfer an der Strecke hatten etwas Märchenhaftes an sich: Holzhütten mit geschnitzten und bemalten Fensterläden, strohgedeckt und moosbewachsen, oder mit Brettern und Dachpappe vernagelt und mit dicken Steinen gegen die Herbststürme beschwert. In den mit Knüppelzaun umgebenen Gärten arbeiteten Frauen und blickten kurz auf, als der Luxuszug an ihnen vorbeiraste. Ihre Kopftücher flatterten im Wind, auf ihren ausgeblichenen Kleidern lag der Sonnenglanz, als könne er ihnen neue frohe Farben geben. »So habe ich mir Rußland immer vorgestellt«, sagte Forster einmal, aber Karsanow gab keine Antwort.
    Das ist schon wieder eine Frechheit, dachte er nur. Diese Hütten, die bald im Verlauf eines neuen Zehnjahresplans verschwinden werden, wo moderne Höfe mit Zentraldepots für Maschinen entstehen sollen, diese Hütten nennt er das typische Rußland! So kann nur ein Deutscher denken.
    Rußland, – das sind für ihn alte Hütten, arme Bauern, vollbusige Mädchen, Balalaikamusik, Krakowiak und Wodka!
    Karsanow las beleidigt weiter und schielte nur ab und zu über den Buchrand zu Forster hinüber.
    Er frißt mit den Augen, stellte Karsanow fest. Aber begreift er denn auch, daß dieses riesige Land nicht wie sein Ruhrgebiet sein kann, Haus an Haus, Straße an Straße?
    Auf dem Gang zum Speisewagen prallte Forster mit einer Frau zusammen, die ihm plötzlich den Weg versperrte. Er hatte sie nicht kommen sehen, und der Zusammenstoß war so stark, daß er taumelte, Halt suchend um sich griff und in etwas Festes faßte. Ebenso schnell zuckten seine Hände zurück, und er lehnte sich verlegen an die Gangwand.
    Zwei gewaltige, runde und feste Brüste wölbten sich ihm entgegen, durch die dünne Bluse kaum verhüllt, und ein Gesicht von wilder herausfordernder Schönheit, umwallt von einem Kranz feurigroter Haare, lachte ihn an.
    »Verzeihung –«, sagte Forster verwirrt. »Ich muß beim Gehen geschlafen haben. Es war nicht meine Absicht …«
    Die Frau mit den flammenden Haaren und den grell geschminkten, etwas zu dicken Lippen blieb stehen. Sie versperrte den Weg mit ihrer wuchtigen Figur.
    Für eine Dame war sie zu auffällig gekleidet und geschminkt. Wie sie dastand, die dicke Brust vorgestreckt, die Beine etwas gespreizt, ein breites Lächeln auf dem runden, aber durchaus noch schönen Gesicht, erinnerte sie Forster an jene Mädchen, die er in Hafenstädten an Haustüren oder hinter Fensterscheiben gesehen hatte und die nicht übers Wetter sprachen, sondern ihren Preis nannten.
    »Ein neuer Gast!« sagte sie und musterte Forster. Auf eine Russin mußte er in seinem Maßanzug wie ein Millionär wirken. »Amerikaner?«
    »Nein, Deutscher.«
    »Bis Wladiwostok?«
    »Erraten.«
    »Eine lange Fahrt, Sie schöner Mann!«
    Sie atmete tief ein und aus, und ihre Brüste lockten. Das war gekonnt! Forster stellte es fest, wie ein Schiedsrichter ein Tor ansagt.
    »Über das Schlafen können wir reden …«
    »Über was, bitte?« fragte Forster überrascht.
    »Sie haben doch eben gesagt, Sie hätten beim Gehen geschlafen.«
    Die Rotflammende stützte sich mit den Armen rechts und links von den Gangwänden ab. Ihr ganzer Körper schien durch den dünnen Stoff zu glänzen, die Linie des Leibes, die Schenkel, die Hüften wirkten wie entblößt.
    »Man schläft nicht im Gehen, wenn es andere Möglichkeiten gibt. Ich habe Abteil dreiundzwanzig.«
    Die Frau lachte ihn an, und ihr geschminktes Gesicht, auf dem jetzt ganz kurz Sonnenglanz lag, wirkte komisch und tragisch zugleich – wie eine Clownsmaske.
    »Schönes Herrchen, haben Sie Deutsche Mark? Es gibt zehn Prozent Rabatt gegenüber dem Rubel!«
    Forster begriff, und die Begegnung begann ihm Spaß zu machen.
    »Vielleicht später –«, sagte er. »Jetzt habe ich Durst.« Er schob sie an die Wand, und sie richtete es so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher