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101 - Das Narbengesicht

101 - Das Narbengesicht

Titel: 101 - Das Narbengesicht
Autoren: Dämonenkiller
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„Wir nehmen die Abkürzung durch den Pinienwald!" rief Nara Pacudo seiner hübschen Begleiterin zu. „Wenn wir uns ranhalten, sind wir in einer halben Stunde in Tokio."
    Niko Ichi warf einen Blick nach draußen. Die Hügel zeichneten sich als bucklige Silhouetten vor dem Nachthimmel ab. Im Scheinwerferlicht des Datsun gabelte sich der Weg. Die Straße war kaum fünf Meter breit. Ein Holzschuppen stand zur Rechten. Die Aufschrift war verblichen. Zeitungsfetzen trieben im Wind davon.
    „Wir hätten mit den anderen fahren sollen, Nara."
    Der junge Chemotechniker lachte. Er ließ den Motor aufdröhnen und bog in den Waldweg ein.
    „Hast du Angst, Niko?"
    Sie erwiderte nichts darauf. Nervös strich sie mit der Linken über ihre Stirn. Sie war vor einigen Tagen fünfundzwanzig geworden. Nara Pacudo arbeitete für ihren Vater, dem in Kamakura eine große Muschelfarm gehörte. Nara war ihr von Anfang an sympathisch gewesen. Er konnte sich durchsetzen, und er war ehrgeizig. Wenn Nara die Wohnung in Tokio bekommen würde, stand ihrer Heirat nichts mehr im Weg.
    „Fahr langsamer!" rief sie und klammerte sich an der Halteschlaufe fest. „Du kannst froh sein, wenn die Stoßdämpfer das aushalten."
    Nara Pacudo schaltete den Gang herunter. Der Wagen wippte auf und nieder. Im Licht der Scheinwerfer schwankten kahle Äste. Dahinter erstreckte sich der dunkle Wald. Die Pinien waren von hier aus nicht zu sehen.
    „In zehn Minuten sind wir durch", versprach Nara hoffnungsvoll. „Du wirst sehen, daß es sich lohnt. Die anderen werden Augen machen, wenn wir uns einen Drink genehmigen, während sie sich um die Plätze in der Tiefgarage streiten."
    „Sie“ - das waren Naras Arbeitskollegen, die in Tokio den Abschluß eines Vertrages mit einer europäischen Firma feiern wollten.
    Der Weg wurde noch schlechter. Tiefhängende Äste peitschten über das Wagendach. Unter den Reifen zerbrachen herumliegende Äste.
    „Dreh um!" forderte Niko. „Fahr zurück, bevor wir in dieser Dunkelheit festsitzen. Ich will um diese Zeit nicht allein durch den Wald laufen…"
    Das eintönige Dudeln der Radiomusik wurde durch eine Meldung der Polizei unterbrochen.
    „Wir bitten alle Autofahrer von Kamakura, die Umleitung zu beachten. Wie uns soeben bekannt wurde, haben unbekannte Terroristen die Brücke im Streckenabschnitt Teimo-Kamakura gesprengt. Unmittelbar betroffen davon sind die Hauptverkehrsstraße und der Teimo-Kanal. Sämtliche Umleitungen werden gelb ausgeschildert. Bitte halten Sie sich an der Unfallstelle nicht auf. Fahren Sie zügig weiter. Der Abtransport der Verletzten darf nicht behindert werden. Nähere Einzelheiten vom Terroranschlag von Teimo erfahren Sie in den Nachrichten um zehn Uhr."
    Die Stimme des Ansagers wurde ausgeblendet, und hämmernde Rockmusik dröhnte aus den Stereolautsprechern. Nara warf seiner hübschen Begleiterin einen aufmunternden Blick zu.
    „Sei froh, daß wir diese Abkürzung genommen haben. Ich will jetzt in keinen Stau geraten. Die Umleitungen nützen doch gar nichts. Keine Polizei der Welt kann die Schaulustigen von der Unglücksstelle fernhalten. Wie ich die Lage einschätze, ist der Stau jetzt mindestens fünf Kilometer lang. Unsere Freunde werden wir heute nacht bestimmt nicht mehr treffen."
    „An die Opfer des Terroranschlags denkst du wohl gar nicht?"
    Nikos Stimme klang vorwurfsvoll.
    „Daran ist leider nichts mehr zu ändern", meinte Nara pragmatisch. „Nenne es Glück oder Vorsehung, daß wir eine andere Strecke gewählt haben. Die Hauptsache ist doch wohl, daß wir nicht in der Nähe der Brücke waren, als es knallte."
    „Wie kannst du nur so gefühllos sein, Nara?" stieß die junge Frau hervor. „Ich weiß nicht wie viele Menschen unter den herabstürzenden Betonbrocken liegen … Aber ich weiß, daß heute nacht viele Frauen vergeblich auf ihre Männer warten."
    Vor ihrem geistigen Auge erschien die Unglücksstelle. Hubschrauber kreisten über die Straße, Scheinwerfer beleuchteten das Trümmerfeld. Bulldozer zerrten die Betonbrocken zur Seite, während Arbeitstrupps die zerbeulten Autos auseinanderschweißten. Blaulichter zuckten, und Männer von der Ambulanz leisteten erste Hilfe. Das Stöhnen der Verwundeten mischte sich in das Krachen der Blechkarosserien. Die Schreckensvision wurde so plastisch, daß Niko entsetzt die Hände vor ihr Gesicht schlug.
    Nara verlangsamte das Tempo.
    „Quäl dich nicht, Kleines", sagte er. „Ich weiß, daß du sehr sensibel bist. Aber zerbrich dir
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