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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Abteil.
    Forster sah, wie er ausstieg und mit schnellen Schritten über den Bahnsteig ging. Vor einem Verkaufskiosk für Limonade und Backwaren traf er auf einen Bahnbeamten und sprach ihn an.
    Es mußte ein ziemlich erregtes Gespräch sein, denn der Beamte rückte nervös an seiner Mütze, und Karsanow gestikulierte mit beiden Armen.
    Tatsächlich sagte Karsanow: »Wer ist verantwortlich für diese Sauerei? Glotzen Sie mich nicht so blöde an, Genosse! Dort drüben steht ein Transport nach Sibirien, für jedermann sichtbar, als biete man Tomaten feil! Steht da, wo man weiß, daß der Transsib einläuft und mit Ausländern besetzt ist! Und da wundert man sich hinterher in Moskau, wenn die westliche Propaganda auf die Pauke haut. Eine Schweinerei ist das! Wer ist dafür zuständig?«
    Es zeigte sich, daß niemand zuständig war.
    Karsanow ging mit dem Beamten in das Telefonhäuschen der Bahnsteigaufsicht und telefonierte herum, – vom Stellwerk bis zum Bahnhofsvorsteher, vom Milizkommandanten bis zum Leiter des örtlichen KGB. Jeder nannte diese Panne eine Dummheit, die fast an Sabotage grenze – aber verantwortlich war niemand. Wer den Deportiertenzug gegenüber vom Transsibirien-Expreß abgestellt hatte, war nicht mehr nachprüfbar.
    Irgend jemand hatte am Telefon gesessen und die Anweisung gegeben, dann hatte alles andere die Technik übernommen, die Weichen wurden elektronisch gestellt, Miliz marschierte auf, sperrte ab – man hatte sogar – eine halbe Stunde vor Einlaufen des Transsib! – die Waggontüren geöffnet und Verpflegung verteilt.
    Hunderte Menschen hatten zugesehen, aber da es ausschließlich Russen waren, löste dieser Anblick keinerlei sichtbare Reaktionen aus. Glücklich der, der frei auf einem Bahnsteig stehen kann!
    Karsanow hängte wütend den Hörer ein.
    »Es ist nervtötend!« sagte er laut. »Immer das gleiche! Keiner ist zuständig! Ich werde es nach Moskau melden, Genosse. Mich wundert nur, daß niemand die Verurteilten an unserem Zug vorüberziehen läßt – wie Mannequins!«
    Aus dem Lautsprecher schallte von neuem die helle Stimme Olgas mit dem dicken Hintern: »Alle Reisenden einsteigen und die Türen schließen! Der Transsibirien-Expreß fährt in Kürze ab!«
    Karsanow beeilte sich, zu seinem Wagen zu kommen. Er war gerade aufgesprungen, als Mulanow hinter ihm die Tür zuschlug. Es klang wie ein Schuß, als die schwere Tür ins Schloß krachte, und Karsanow zuckte heftig zusammen. »Haben Sie sich erkundigt, Pal Viktorowitsch?« fragte Forster, als sich Karsanow schnaufend und voll angestauter Wut auf die Polsterbank warf.
    Der Zug ruckte an und verließ dann fast lautlos die riesige Bahnhofshalle von Gorkij. Der Bahnsteigaufseher grüßte stramm, als der Wagen Nummer fünf an ihm vorbeifuhr.
    Karsanow kniff die Lippen zusammen und ignorierte die flehentliche Geste des kleinen Beamten: Genosse, verschonen Sie mich! Ich bin nur ein unwesentlicher Beamter, der die Züge abfahren läßt …
    »Wo geht der Transport hin?«
    »Werner Antonowitsch, wir sollten uns einigen, wenn wir zehn Tage zusammenleben müssen«, erwiderte Karsanow mit erzwungener Ruhe. »Verbrecher gibt es in jedem Land. In Ihrem Vorbild Amerika gibt es mehr, als – zusammengerechnet – in der ganzen Welt! Und über solche Menschen sollte man nicht diskutieren. Verstehen wir uns?«
    »Im Prinzip – ja, Pal Viktorowitsch.«
    »Sehr gut.« Karsanow versuchte ein Lächeln, aber es geriet schief. »Bleiben wir bei Radio Eriwan und seinen Witzen. Obgleich auch die ein völlig schiefes Bild liefern …«
    Forster lehnte sich in die Polster zurück. Draußen flogen die Häuser vorbei.
    Bilder wie überall, wenn ein Zug eine Stadt verläßt.
    Und nach wenigen Minuten begann wieder das schlammige Land, diese vom Regen aufgeweichte Grenzenlosigkeit aus Feldern, Büschen und Wäldern …
    »Sie lassen nicht ein Stäubchen auf Ihrem Land liegen, was?« fragte Werner Forster und suchte in der Pelzmanteltasche nach seinen Zigaretten.
    »Nein! Ich bin Russe!« Karsanow schob das Kinn vor. »Meine Heimat ist für mich heilig.«
    Nach zwei Stunden verließ Forster das Abteil, um in den Speisewagen zu gehen. Boris Fedorowitsch Mulanow war noch einmal vorbeigekommen, hatte den Kopf durch einen Türspalt gesteckt und gefragt, ob alles in Ordnung sei.
    Da keiner eine Antwort gab, hatte er rasch die Tür wieder zugeschoben. Dann ging er aus dem Blickfeld des Abteils und stellte sich an ein Gangfenster.
    Dicke Luft, dachte er.
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