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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Autoren: Gianrico Carofiglio
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1
    A lles begann mit dem harmlosen Anruf eines früheren Kommilitonen.
    Sabino Fornelli ist Anwalt für Zivilrecht. Wenn einer seiner Mandanten ein strafrechtliches Problem hat, ruft er mich an, übergibt mir den Fall, und damit ist die Sache für ihn erledigt. Wie viele Zivilrechtler hält er Strafkammern für verruchte und gefährliche Orte, von denen er sich lieber fernhält.
    An einem Nachmittag im März war ich gerade mit einer Berufungsklage beschäftigt, die am nächsten Tag verhandelt werden sollte, als Sabino Fornelli anrief. Wir hatten uns schon seit ein paar Monaten nicht mehr gesprochen.
    »Ciao, Guerrieri, wie geht es dir?«
    »Gut, und dir?«
    »Wie immer. Mein Sohn ist gerade für drei Monate nach Amerika gegangen, eine Art Schüleraustausch.«
    »Schön. Gute Idee, da wird er etwas erleben, woran er sich immer erinnern wird.«
    »Ich werde mich auch immer daran erinnern: Seit er weg ist, macht meine Frau mich fertig mit ihren Ängsten. Ich drehe langsam durch.«
    Wir tauschten noch eine Weile Höflichkeiten aus und kamen dann zum Punkt. Er hatte zwei Mandanten, die mich in einer sehr heiklen und dringenden Sache sprechen wollten. Er senkte die Stimme, als er heikel und dringend sagte, auf eine Weise, die ich ein wenig übertrieben fand. Der schlimmste Fall, den mir Fornelli bisher übergeben hatte, war eine dramatische Angelegenheit mit Beschimpfungen, Schlägen und Hausfriedensbruch gewesen.
    Aufgrund dieser Vorgeschichte nahm ich seine Definition von »heikel und dringend« nicht allzu ernst.
    »Morgen fahre ich nach Rom, Sabino, und ich weiß noch nicht, wann ich zurückkomme. Übermorgen ist Samstag, also könnten sie frühestens am …« Ich überflog kurz meinen Terminkalender. »… Montagabend kommen, nach acht. Worum handelt es sich denn?«
    Kurze Pause.
    »Nach acht geht in Ordnung. Aber ich komme auch mit, dann erklären wir dir zusammen, worum es geht. Das ist besser, aus verschiedenen Gründen.«
    Jetzt war ich an der Reihe, eine kurze Pause zu machen. Es war das erste Mal, dass Fornelli die Mandanten, die er zu mir schickte, begleitete. Ich wollte ihn gerade fragen, was das für verschiedene Gründe waren und warum er mir das nicht am Telefon erklären konnte, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Also sagte ich nur, dass es mir recht sei, wenn wir uns am Montag um halb neun bei mir trafen, und damit war das Gespräch beendet.
    Ich überlegte noch ein paar Minuten, worum es wohl gehen würde. Doch ich fand keine Antwort und widmete mich schließlich wieder meiner Berufungsklage.

2
    I ch mag die Prozesse am Obersten Gerichtshof. Die Richter sind fast immer gut vorbereitet. Es kommt selten vor, dass jemand während des Prozesses einschläft, und die vorsitzenden Richter sind, bis auf wenige Ausnahmen, ziemlich höflich, selbst dann, wenn sie einen bitten, sich kurz zu fassen und nicht allzu viel Zeit zu verschwenden.
    Im Gegensatz zu dem, was in den Amtsgerichten und den Berufungsgerichten abläuft, hat man im Obersten Gerichtshof den Eindruck, in einer ordentlichen Welt mit einer funktionierenden Justiz zu leben. Es handelt sich nur um einen Eindruck, denn die Welt ist nun einmal nicht ordentlich, und die Justiz funktioniert auch nicht. Aber dieser Eindruck ist sehr angenehm. Aus diesem Grund bin ich normalerweise gut gelaunt, wenn ich einen Prozess in oberster Instanz führen darf, selbst wenn ich dafür früh aufstehen muss.
    Es war ein schöner Tag, kalt und strahlend. Das Flugzeug widerlegte meine banalen Vorhersagen durch pünktliches Abfliegen und Landen. Auf der Fahrt vom Flughafen zum Obersten Gerichtshof hatte ich dann ein sehr ungewöhnliches Erlebnis. Der Wagen war gerade losgefahren, als ich auf dem Beifahrersitz ein Dutzend Bücher in Taschenbuchausgaben bemerkte. Bücher, die in den Wohnungen anderer Leute herumliegen, machen mich grundsätzlich neugierig. Aber erst recht in einem Taxi, wo man sie normalerweise nicht erwartet! Ich warf einen Blick auf die Umschläge. Ein paar waren mittelmäßige Krimis, aber dazwischen waren auch Nächtliche Irrfahrt von Simenon, Eine Privatsache von Fenoglio und sogar Gedichte von García Lorca.
    »Wie kommt es, dass Sie diese Bücher hier haben?«
    »Ich lese sie zwischen den Fahrten.«
    Volltreffer. Eine trockene Antwort auf eine dumme Frage. Was tut man wohl mit Büchern? Man liest sie.
    »Wissen Sie, ich habe nur gefragt, weil es nicht so … so oft vorkommt, dass man Bücher in einem Taxi findet, so viele Bücher jedenfalls.«
    »Das
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