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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express
Autoren: Heinz G. Konsalik
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…«
    Er brauchte lange, bis er aufstehen und den Brief vom Bett nehmen konnte.
    Noch länger hielt er ihn in beiden Händen, bis er ihn entfaltete.
    Eine kleine kindliche Schrift … so klein, so zart, so zärtlich wie Milda selbst …
    Sie schrieb:
    »Mein Liebling,
    Du wirst in meinem Herzen die einzige Sonne sein, die mich wärmen kann. Ich weiß, daß dieses Glück mit Dir nie wiederkommt, nie mehr in meinem Leben. Und trotzdem muß ich gehen …
    Ich habe Angst vor Deinem Deutschland, vor allem Fremden, vor dieser fernen Welt, in der ich nur Dich hätte und sonst Einsamkeit. Wie soll ich ohne Rußland leben, mein Liebling?
    Du hast einmal gesagt: ›Ich begreife eure Seele nicht!‹ Wer könnte das, wenn er kein Russe ist!
    Leb wohl, mein Liebling. Ich werde weinen, bis ich leer bin … aber alle Tränen fallen auf Rußlands Erde, und wenn sie eine Blume zum Blühen bringen, will ich sie mit Deinem Namen nennen, Werja … Leb nochmals wohl …
    Mildenka.«
    Als Saweli Jefimowitsch Dronow am Abend zurückkam, war seine Wohnung verlassen, die Koffer weg, nur auf dem Tisch stand eine Flasche Krimsekt.
    Dann fand er frisches Weißbrot und kalten Braten und auf der äußeren Fensterbank einen großen Topf mit Kaviar. In einer Flasche, weil Forster keine Vase gefunden hatte, stak ein Strauß unbekannter, wunderschöner, sicherlich japanischer Blumen …
    »Er wird es überleben«, sagte Dronow zu sich selbst, »und sie auch. Nein, wie man sich täuschen kann!«
    Er setzte sich an den Tisch, überblickte die Köstlichkeiten und dachte daran, wie er Milda Tichonowna über sechs alte Verbindungen und um sieben Ecken herum in einer Gärtnerei am Rande von Wladiwostok untergebracht hatte. Man hatte ihr ein Zimmerchen gegeben, und sie hatte sich auf das Bett geworfen und geweint, als wolle sie sich ganz in Tränen auflösen.
    »Soll man's verkommen lassen?« fragte Dronow und griff nach der Sektflasche. »Wer Brot vertrocknen läßt, ist ein Schuft! Wer Fleisch verschimmeln läßt, den treffe der Blitz!«
    Nach einer Stunde lag Saweli Jefimowitsch Dronow betrunken, satt und selig unter dem Tisch und schlief.
    Um sechs Uhr neunzehn morgens schob ein Hafenarbeiter, bartstoppelig und dreckig, mit roten verquollenen Augen und nach Wodka stinkend, auf einer Karre die Kiste Nummer eintausendsiebenhunderteins über die Laderampe. Ein Milizposten kontrollierte ihn, warf einen schnellen Blick auf den stempelreichen Ausweis und sagte:
    »Passieren!«
    An Deck kippte der Arbeiter die leichte Kiste ab, setzte sich auf eine Taurolle und blickte zu Kapitän Namamura hinauf, der zu ihm getreten war.
    »Alles in Ordnung, Sir?« fragte Namamura.
    Werner Forster nickte, wie nur ein Betrunkener nicken kann.
    »Alles in Ordnung … Kapitän!«
    »Jetzt haben Sie es geschafft, Sir.«
    »Ja, jetzt habe ich es geschafft.«
    Namamura wandte sich ab und ging zurück zur Brücke.
    Er sah nicht mehr, wie Werner Forster sein Gesicht mit beiden Händen bedeckte und weinte.
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