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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express
Autoren: Heinz G. Konsalik
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beobachteten, was im Bahnhof geschah.
    Die Reisenden kamen allmählich einzeln heraus, fluchend, gestikulierend und in hellster Aufregung. Vor den Eingängen bildeten sich Gruppen und diskutierten.
    Zwischen zwei Milizionären schleppte man Skamejkin zu einem der Wagen. Er war immer noch in Strümpfen, schrie gellend und rief seine Umwelt zur Hilfe gegen die Staatsgewalt auf. Natürlich half ihm niemand –, jeder ist froh, mit der Miliz nichts zu tun zu haben.
    Dementi Michailowitsch Skamejkin war nicht ganz unschuldig an seiner Verhaftung. Kaum hatte der Transsib gehalten und Skamejkins Koffer waren ausgeladen, stellte er sich auf seinen größten Koffer und hielt eine flammende Rede an sein Volk:
    »Genossen! Hört euch die Geschichte von einem Mann an, dem erst ein Mörder und dann die Polizei seine neuen Schuhe klaute! Heran, heran, tretet heran, Bürger! Die Auswüchse der Willkür wuchern wie Geschwüre …«
    Es war klar, daß die Miliz diesen unerlaubten Volksredner zunächst von seinem Koffer holte und abtransportierte. Hinzu kam noch der Hinweis des Schaffners Mulanow, daß dieser wilde Genosse nicht einmal eine Fahrkarte bis Wladiwostok bezahlt habe!
    Dann versammelten sich alle Schaffner neben der Lokomotive und erklärten auf Befragung durch die Miliz einstimmig, von den gesuchten Werner Antonowitsch Forster und Milda Tichonowna Lipski nichts mehr gesehen zu haben. Theoretisch, meinten die Schaffner, müßten sich die beiden noch im Innern des Bahnhofsgebäudes befinden.
    »Phantastisch, Genossen!« sagte Mulanow heuchlerisch. »Wie schnell ihr gekommen seid! Auf die Minute! Was? Die beiden werden gesucht? Ha, wie man sich in Menschen täuschen kann! Viel Glück wünsche ich euch, tapfere Soldaten …«
    Endlich tauchte ein Taxi auf und fuhr um den Platz herum. Forster winkte, der Fahrer winkte zurück und hielt an der Bordsteinkante. Er stieß die Tür von innen auf.
    »Jetzt mußt du reden«, sagte Forster leise zu Milda. »Jeder Russe merkt, daß ich ein Ausländer bin.«
    Er gab Milda den Zettel und ließ sie einsteigen. Seine Koffer brachte er selbst nach hinten in den Kofferraum.
    Der Fahrer blieb dabei sitzen.
    Ein wahrer Sozialist fährt zwar einen anderen Sozialisten, aber er bedient ihn nicht! Auf keinen Fall, wenn die Begleiterin so angezogen ist wie Milda Tichonowna. Ein Bauerntrampel! Und das Herrchen? Hatte sich fein gemacht für die Stadt, – man kennt das! Einmal Wladiwostok sehen … und dann bis zum Lebensende davon erzählen in seinem einsamen Kaff am Rande der Taiga …
    Los, steigt ein, Genossen!
    »Tunguska 17«, sagte Milda, die sich neben den Fahrer gesetzt hatte. »Ist das weit?«
    »Wer spricht von Entfernungen, Genossin?« Der Fahrer grinste. Kommt in die Stadt und tut vornehm! Ist das weit … Huhu! Bei ihnen zu Hause messen sie die Entfernungen nach Hunderten von Werst und in der Stadt … Der Wagen ruckte an, fuhr um den großen Platz herum und an dem Bahnhof vorbei. Der Fahrer warf einen Blick zur Seite. »Was ist denn da los?«
    »Sie suchen jemanden, weiß der Teufel, wen! Sie suchen ja immer jemanden!«
    Der Fahrer grinste wieder, jetzt zustimmend. Man verstand sich auch ohne große Worte …
    Hier, in Wladiwostok, hatte man einen eigenen Begriff von Freiheit … die Weite des Meeres, das man ständig sah, verleitete wohl dazu. Hier hört Rußland auf, und wer immer über einen Zaun in ein anderes Land blickt, der hat seine eigenen Gedanken.
    »Zu Besuch?« fragte der Fahrer.
    »Ja, bei einem Onkel«, antwortete Milda. »Wir freuen uns so …«
    Die Tunguska lag nicht direkt am Hafen, aber auch nicht weit davon entfernt. Man konnte die hohen Kräne noch sehen; die Seeluft strich durch die Straße, aber der Lärm und der Gestank des Hafens flogen nicht bis hierher.
    Das Haus Nummer siebzehn war ein dreistöckiger Steinbau aus der Jahrhundertwende mit abbröckelndem Putz und mit Fenstern, die nach einem Anstrich jammerten. Sonst war es ein ganz passabler Bau, in dem sich wohnen ließ. Im Erdgeschoß beherbergte das Haus eine staatliche Brotverteilungsstelle und ein Geschäft für Särge … eine merkwürdige, aber wohl unbeabsichtigte Kombination.
    »Nummer siebzehn!« sagte der Fahrer. »Grüßen Sie ihr Onkelchen von mir!«
    Milda bezahlte, Forster holte seine Koffer aus dem Gepäckraum, und dann winkten sie dem Fahrer zu, bis er um die nächste Ecke gefahren war.
    Saweli Jefimowitsch Dronow wohnte in der mittleren Etage, rechts vom Treppenpodest. Ein handgemaltes
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