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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express
Autoren: Heinz G. Konsalik
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keine andere Wahl. Forster holte das kleine braune Fläschchen mit Äther hervor, zupfte einen dicken Wattebausch aus der Wattetüte und zog eine Einwegspritze aus der luftdichten Plastikhülle. Leise zerbrach er eine Ampulle mit Morphium und zog die Flüssigkeit in den Spritzenkolben auf.
    Milda küßte ihn laut. Die Geräusche sollten Karsanow ablenken. Sie flüsterte zärtliche Worte, scharrte mit den Füßen und beobachtete dabei den mit geschlossenen Augen lächelnden Karsanow.
    Mildas Körper flatterte … Noch ein paar Sekunden lassen wir ihn ausruhen, dachte sie. Gott im Himmel, nur ein paar Sekunden schenke uns noch! Wenn er jetzt die Augen aufschlägt, gibt es nur die Ergebung oder den Tod …
    Sie scharrte von neuem mit den Füßen und schmatzte mit den Lippen … Forster schraubte die Ätherflasche auf und hielt den Wattebausch davor. Die Spritze lag bereit.
    »Sind Sie bald fertig?« fragte jetzt Karsanow träge. »Ich möchte die Partie gern abschließen …«
    »Ich bin fertig, Pal Viktorowitsch!«
    Forster schnellte vor. Er warf dabei das Schachbrett um, die Figuren kollerten in alle Ecken –, aber das war jetzt die unwichtigste Sache von der Welt.
    Mit der rechten Hand preßte Forster den äthergetränkten Wattebausch gegen den Mund und die Nase Karsanows, mit der linken Hand hielt er seinen Kopf, den Karsanow wegzustemmen versuchte …
    Es gab einen kurzen verzweifelten Zweikampf – Mann gegen Mann.
    Karsanow trat um sich, hielt die Luft an, roch natürlich sofort den süßlichen widerlichen Äther und war sich darüber klar, daß er diese Partie verlieren würde.
    Nach einigen wilden Zuckungen ließ seine Kraft nach, der Körper sackte in sich zusammen, der Äther tat seine Wirkung.
    »Die Spritze!« sagte Forster ruhig.
    Milda reichte sie ihm. Ihre Hand zitterte so stark, daß ihr das Instrument fast aus den Fingern geglitten wäre.
    Die Injektion war eine Kleinigkeit. Forster gab dem Russen eine Dosis, die ihn für Stunden schlafen lassen würde, und auch danach, bis zur völligen geistigen Klarheit, würde noch wertvolle Zeit vergehen; Zeit, die ihnen geschenkt wurde.
    »Es ist ja schon alles überstanden«, sagte Forster, als er Karsanows Beine auf die Bank gehoben hatte. »Du bist frei, Milda! Frei! Es wird niemand mehr geben, vor dem du weglaufen mußt. In drei Tagen haben wir Rußland hinter uns und sind auf dem Weg nach Japan!«
    »In drei Tagen …« Sie lehnte sich gegen das Fenster, starrte dann Karsanow an und konnte es noch nicht glauben. »Er ist doch nicht …?«
    »Nein, er schläft nur. Wenn wir Glück haben, rund um die Uhr …«
    Das gleiche fragte Mulanow, der kurz danach ins Abteil kam, um zu sehen, wie die Partie stand. Er hatte noch nichts nach Iman durchgeben lassen.
    An der Tür prallte er zurück vor dem süßlichen Gestank, schlüpfte aber dann schnell hinein und öffnete mit seinem berühmten Vierkantschlüssel eine indirekte Belüftung über dem Fenster. Das Fenster, das versuchte er zuerst, war nicht herunterzuschieben. Es war in den Gleitschienen total vereist.
    Mulanow wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht. »Gut«, sagte er. »Eine Idee! Äther, sehr gut! Aber wie lange hält das vor?«
    »Bis zum nächsten Morgen bestimmt …«
    »Soviel Äther? Das hält sein Herz nicht aus.«
    »Ich habe ihm eine dicke Morphiuminjektion gegeben. Hoffen wir, daß Karsanow so gesund ist, wie er aussieht. Boris Fedorowitsch, wir müssen ihn in Iman ausladen. Von dort hat er es schwerer, uns nachzufahren. Er darf nicht bis Wladiwostok mitreisen!«
    »Und Sie? Sie reisen immer mit Morphium?« fragte Mulanow und beugte sich über Karsanow. Der Atem war regelmäßig, er schlief tief, er schien tatsächlich ein gutes Herz zu haben.
    »Im Ausland habe ich immer eine Apotheke bei mir. Für Notfälle … wie diesen!« Forster lächelte bitter. »Ich habe drei Semester Medizin studiert, – haben Sie keine Angst, Mulanow. Ich habe meine Arbeit getan und hatte eine Idee … nun sind Sie dran!«
    Mulanow wartete, bis sich der süßliche Geruch verzogen hatte und trabte dann durch den Gang, um zunächst die Nachbarabteile zu informieren.
    »Ein Jammer!« rief er etwa dem General zu. »Pal Viktorowitsch hat es nervlich nicht ausgehalten. Er hat einen Kollaps erlitten. Liegt ohnmächtig da. Wir müssen ihn leider in Iman ausladen …«
    Der General zog seine Uniformjacke wieder an und begab sich nach nebenan. »Das ist eine Schande!« sagte er steif. »Bricht vor einem
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