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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sonst.
    Endlich fuhr der Expreß in die riesige Bahnhofshalle ein, und ein Gewirr von Schienen, Weichen, Elektromasten und Lagerhallen, Abstellplätzen und Werkstätten umgab sie.
    »Ein paar neue Höllenkinder steigen zu!« Mulanow zückte sein Notizbuch. »Wen haben wir denn da vorangemeldet? Zweiter Klasse – interessiert nicht! Erster Klasse: zwei Parteifunktionäre, vier Geologen, einen Professor für Physik, der nach Irkutsk will. Aha, und da!« Mulanow zeigte die Eintragung dem jungen Kellner. »Werner Forster, Abteil drei, Wagen fünf. Das ist eines der Staatsabteile, Brüderchen. Nur zwei Plätze … haben den ganzen Raum für sich, wo sonst sechs sitzen. Das sind die Schlimmsten, Fedja! Reserviert von einem Ministerium! Man muß sie anfassen wie weiche Eier. Werner Forster, ein Deutscher!« Mulanow klappte sein Notizbuch zu. »Ein wichtiger Mensch muß das sein. Fährt bis zur Endstation Wladiwostok. Ich werde ihn auf Deutsch begrüßen: Gutten Tak, gospodin. Die Ausländer sind wichtig, Fedja! Unser Zug ist die Visitenkarte Rußlands. Was man später von uns erzählt, färbt auf das ganze Land ab.«
    Der Zug hielt. Boris Fedorowitsch Mulanow kontrollierte noch schnell den korrekten Sitz seiner Mütze, riß die Tür auf und sprang auf den Bahnsteig.
    Aus den Lautsprechern tönte noch die Zugansage. Das ist Olga, dachte Mulanow, Olga mit der schnell sprechenden hellen Stimme. Olga mit dem dicken Hintern … Madonna von Kasan, wie man jede Kleinigkeit nach sieben Jahren kennt …
    Es war keine Kunst, Werner Forster zu entdecken. Er stand neben zwei hellen Schweinslederkoffern, die allein schon die Aufmerksamkeit der sowjetischen Reisenden auf sich zogen. Und dann die Kleidung! Der Anzug aus englischem Stoff, graubraun mit einem Karo in Blau. Rötliche weiche Schuhe in Mokassinform, über dem Arm einen Mantel aus Fuchspelz – in Moskau gekauft –, vor der Brust einen Fotoapparat, über der Schulter eine moderne Tasche mit langem Riemen, ohne Hut …
    Ein Mensch, der auffiel, weil alles an ihm anders war als in Rußland.
    Mulanow straffte sich, setzte sich in Bewegung und marschierte auf den Deutschen zu. Drei Schritte vor ihm blieb er stehen, als habe jemand ›Halt!‹ kommandiert, und legte die Hand an den Mützenschirm.
    »Gutten tak, gospodin«, sagte der Bahnbeamte. »Ich bien Schaffner von Sie!«
    Werner Forster nickte freundlich. Die große Reise, ein Traum, den er schon als Junge geträumt hatte, wurde Wirklichkeit. Er suchte nach seinem Fahrschein, aber Mulanow winkte großmütig ab.
    »Sie sind mir angezeigt, gospodin«, sagte er jetzt auf russisch. »Bitte, folgen Sie mir.«
    Er wartete, ob der Deutsche ihn verstand, und zu seinem Erstaunen antwortete Forster auf russisch:
    »Sie sind wirklich sehr höflich. Danke!«
    Eine schauderhafte Aussprache, dachte Mulanow. Deutsches Schulrussisch! Aber man kann ihn verstehen.
    Es wird sich die Möglichkeit ergeben, ein Schwätzchen zu halten. Noch knapp zehn Tage bis Wladiwostok.
    Vielleicht kann man – ganz vorsichtig – erfahren, wie die Deutschen leben. Zum Beispiel ein deutscher Eisenbahnschaffner! Vergleiche sind immer gut.
    Die Mulanows leben zufrieden, das kann man wohl sagen. Eine hübsche Frau mit zwei Kinderchen, und eine Wohnung mit zwei Zimmerchen in Moskau. Ein Bad für drei Mietparteien – na, ist das etwa nichts? Und bisher keine Reklamationen mit dem warmen Wasser, wie's im Block nebenan immer ist. Da tutet es aus dem Kran, wenn man warmes Wasser haben will! Ein Musiker, der dort wohnt, sagte neulich, es wäre a-Moll! Und er wolle eine Sonate über das Getute schreiben …
    Mulanow tat etwas, das sonst unter seiner Würde war: Er nahm einen der schönen Schweinslederkoffer und trug ihn dem Deutschen voraus zum Wagen fünf.
    Vor den Waggons der zweiten Klasse – Großraumwagen für sechzig Personen – stauten sich die Reisenden, warfen ihr Gepäck voraus durch die Fenster, enterten den Wagen, als seien sie Piraten, stießen sich gegenseitig weg und benahmen sich so, wie es Mulanow nicht anders erwartet hatte und seit sieben Jahren kannte.
    Die Erste-Klasse-Reisenden waren schon eingestiegen. Sie hatten Platzkarten und suchten in Ruhe ihre Plätze auf.
    »Bitte, gospodin«, sagte der Schaffner und zeigte auf ein geschlossenes großes Fenster. »Das ist Ihr Abteil. Nur für zwei Personen. Es wird Ihnen bei uns gefallen.«
    »Davon bin ich überzeugt.« Forster folgte dem Schaffner bis zu der breiten Schiebetür. Im Abteil saß bereits
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