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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bügelfalte in der Hose.
    »Sie sind Deutscher?« fragte Karsanow.
    »Man hört es, nicht wahr?« Forster lachte jungenhaft. Sein offenes Gesicht wurde dann beinahe alterslos. Er konnte achtzehn, aber auch dreißig Jahre alt sein, in Wirklichkeit war er dreiunddreißig.
    »Ich hatte große Mühe, soweit russisch zu lernen, daß ich mich verständlich machen kann. Für einen Deutschen ist Russisch ein Alptraum!«
    »Das Kompliment gebe ich zurück.« Karsanow lachte nun ebenfalls. »Für jeden Ausländer ist Deutsch die Sprache der krachenden Zunge. Sie fahren auch bis Wladiwostok?«
    »Ja! Mein Kindertraum wird wahr.«
    Forster blickte wieder aus dem Fenster. Der Zug da draußen auf den Rangiergleisen interessierte ihn. Die Milizionäre mit den Hunden riegelten anscheinend das ganze Gebiet ab. Außer ihnen war kein Mensch dort zu sehen. Kein Bahnarbeiter, keine Rangierer und auch nicht die Frauen mit den verblichenen Kopftüchern, die mit Schrubbern an langen Stangen die Waggons von außen abwaschen. »Von Wladiwostok fahre ich dann per Schiff nach Hause.«
    »Eine wundervolle Reise.«
    »Ich habe sie mir verdient.«
    »Sie haben in Rußland gearbeitet?«
    »Ja, an der geplanten Erdgasleitung nach Deutschland. Ich war eine Art Vorkommando. Es gab da vieles, was man koordinieren mußte.«
    »Natürlich, die Erdgasleitung! Eine gute Sache, mein Herr! Zwei Völker kommen sich endlich näher, weil sie sehen, daß man sich gegenseitig braucht. Wie hieß Ihr Vater?«
    Forster sah Karsanow verblüfft an. »Anton Forster. Warum?«
    »Sehr gut!« Karsanow lächelte freundlich. »Es redet sich leichter im Russischen, wenn man das weiß. Sie gestatten, daß ich Sie Werner Antonowitsch nenne? Ich bin Pal Viktorowitsch! Wir werden uns in den kommenden zehn Tagen lieben oder zerfleischen lernen. Weiß man es im voraus?«
    An dem abgesperrten Zug geschah jetzt etwas Merkwürdiges.
    Aus einigen Lüftungsschlitzen wehten Taschentücher im Wind, und ein paar Papierschnipsel trieben träge über die Gleise davon.
    Die Milizionäre wurden unruhig, traten an die Waggons und schlugen mit den Fäusten dagegen. Die Hunde zerrten an den Leinen und bellten, aber die Taschentücher verschwanden nicht. Sie flatterten weiter aus den Schlitzen, bis endlich ein paar Milizsoldaten mit den Läufen ihrer Maschinenpistolen die weißen Stoffetzen wegrissen.
    »Sehen Sie sich das an, Pal Viktorowitsch«, meinte Forster. »Da drüben, der Güterzug! Aus den Luftschlitzen winken Taschentücher. In den Waggons transportiert man also Menschen! Dazu die Miliz mit Hunden … Ich denke, das gibt es nicht mehr in Rußland?«
    »Blicken Sie woandershin, Werner Antonowitsch«, knurrte Karsanow.
    Seine Stimme hatte sich plötzlich verändert. Sie klang ärgerlich und etwas härter als zuvor.
    »Vor drei Tagen in Moskau habe ich noch mit einigen Herren darüber diskutiert.«
    Forster zeigte hinüber zu dem Güterzug. Die Milizionäre stießen wieder mit den Gewehrkolben gegen die geschlossenen Waggons und schimpften.
    »Sagen Sacharow und Solschenizyn die Wahrheit? habe ich gefragt. Ich gehöre einer Generation an, die bei Kriegsende vier Jahre alt war. Was unsere Väter erzählten, was man später in vielen Büchern las – es mutete alles so unglaubwürdig an. Und dann das, was man uns in den Schulen erzählte … wer hat recht? Wenn Solschenizyn …«
    »Nennen Sie diesen Namen nicht!« sagte Karsanow ungnädig.
    Er streckte die stämmigen Beine aus und blinzelte mißmutig zu dem Zug und den Milizsoldaten hinüber.
    »Jedes Ding kann man von zwei Seiten betrachten. Die einen sehen in einer Toilette eine hygienische Einrichtung, die andern dagegen sagen nur: Es stinkt! Beide haben recht! Warum es leugnen? Ja, das dort drüben ist ein Transport mit Staatsfeinden. Ist es nicht das Recht eines jeden Staates, für Ordnung zu sorgen? Jeden Ansatz von Chaos zu vernichten? Die Sowjetunion ist ein Land des Friedens. Natürlich hapert es noch an vielen Ecken und Enden … Was tausend Jahre vernachlässigt haben, kann man nicht in fünfzig Jahren wegbügeln! Wer das nicht einsieht …«
    Karsanow erhob sich und knöpfte die Jacke seines Anzugs zu. Die Hose beulte sich an den Knien, der Stoff knitterte im Rücken. Werner Forster blickte zu ihm hinauf.
    »Es gibt also Deportationen in Straflager?«
    »Werden bei Ihnen die Verurteilten in goldenen Kutschen weggefahren? Rußland hat andere Entfernungen, also müssen auch die Transportmittel andere sein.«
    Karsanow verließ
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