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Stein der Dämonen

Stein der Dämonen

Titel: Stein der Dämonen
Autoren: Hubert Haensel
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Hubert Haensel
    Stein der Dämonen
    Die Landschaft, in die er langsam hinabglitt, schien einem Alptraum zu entstammen, Tarmino ahnte, dass tief unter ihm das Verderben lauerte. Alles war fremd und verwirrend. Die bizarren Formen schienen tödliche Gefahren zu bergen und waren doch von einer gleichermaßen düsteren Schönheit, dass jeder der langgezogenen Schatten auf unheimliche Weise lebendig wirkte.
    Der Krieger aus Arlond, einer der westlichsten Grafschaften Ugaliens, der die Schrecken der Schlacht im Hochmoor von Dhuannin überstanden hatte, ohne an Leib oder Seele Schaden zu nehmen, der viele Caer besiegt hatte, aber auch seine Kampfgefährten unzählige Tode hatte sterben sehen, begann zu zittern. Ein Hauch des Bösen streifte ihn.
    Die Finger seiner Rechten, mit der er krampfhaft das schartige Schwert umklammert hielt, wurden klamm. Eine eisige Kälte fraß sich durch seine Fellkleidung hindurch und ließ ihn frösteln.
    Von irgendwoher erklangen schaurig schrille Töne. Verzweifelt suchte Tarmino nach einem Halt, aber sein eigenes Gewicht zog ihn unbarmherzig weiter, tiefer in die Schlucht hinein, deren unwirkliches Rot in seinen Augen schmerzte. Es gab kein Erbarmen. Das Seil, das sie um seinen Leib geschlungen hatten, spulte sich immer schneller ab. Die Felsen sahen aus wie ein Meer versteinerter Pflanzen. Winzige Kristalle, vom Wind aufgewirbelt, stachen schmerzhaft in die Haut des Kriegers.
    Gleichzeitig wurde der unwirkliche Klang lauter. Dämonen schienen durch die Schluchten und Abgründe zu streifen – auf der Suche nach wehrlosen Opfern.
    »Aqvitre, hilf!« Der Wind riss Tarmino die Worte von den Lippen und trug sie mit sich fort.
    Wie tief mochte er inzwischen sein? Zwanzig Mannslängen, vielleicht gar dreißig? Wenn er den Kopf weit in den Nacken legte, konnte er über sich den wolkenüberzogenen Himmel erkennen. Die Sonne stand hoch, und ihre Strahlen blendeten ihn. Dennoch war er sicher, dass die Salamiter unentwegt zu ihm herabstarrten und jede seiner Bewegungen verfolgten.
    Allmählich begann Tarmino zu bedauern, dass er nicht auf dem Schlachtfeld geblieben war. Wie viel leichter mochte es sein, durch die Klinge eines Caer schnell zu sterben, als Auge in Auge mit dem Unheimlichen, dem Unbegreifbaren, einen inneren Kampf auszufechten, dessen Ausgang von vornherein unumstößlich feststand!
    Beinahe schlagartig brach das dämonische Heulen ab. Auch die Kraft des Windes erlahmte. Die folgende Stille war erfüllt von den Schrecken menschlicher Vorstellungskraft. Da entpuppten sich faustgroße Steine als lauernde Bestien, wurden schlanke Felsnadeln zu peitschenden Schlangenleibern.
    Mit einem harten Ruck kam das Seil zum Stillstand. Es hatte sich an einem Vorsprung verfangen. Hilflos pendelte Tarmino zwischen Himmel und Hölle, ausgeliefert einem unbeschreiblichen Etwas, das er kommen fühlte, das von allen Seiten her auf ihn eindrang – gefährlich, lauernd und von unersättlicher Gier; schlimmer noch als die Begegnung mit einem Moortoten oder der Anblick der Krieger, die ihr Ende in den Ästen einer Runengabel gefunden hatten.
    In jäh aufwallendem Entsetzen schwang der Ugalier sein Schwert. Als die Klinge auf Widerstand stieß, drosch er wie besessen darauf ein. Steine splitterten und verschwanden polternd in der Tiefe. Ein Ächzen schien durch den Berg zu gehen, ein Aufbäumen.
    Aber es war nicht der Fels, der sich bewegte. Tarmino fiel, und noch während der Boden rasend schnell näher kam, erkannte er, dass das Seil sich durch seine heftigen Bewegungen wieder gelöst hatte.
    Der Aufprall fiel weit weniger hart aus als erwartet, wohl weil Staub und weiches Moos den Fall dämpften. Eine Wolke glitzernder Kristalle hüllte den Krieger ein. Ihr Zauber ließ ihn für wenige Augenblicke vergessen, doch war er dann schnell auf den Beinen, und das Schwert in seiner Hand lag ruhig wie schon lange nicht mehr. Nur wenige Sonnenstrahlen drangen bis hierher vor, wo ein trüber, rötlicher Dämmer beherrschend war. Etliche Schritte von ihm entfernt gewahrte der Ugalier mächtige Halme, von denen er wohl kaum zwei zugleich umfassen konnte. Ohne erkennbaren Übergang wuchsen sie aus dem harten Boden heraus und verzweigten sich etwa in Mannshöhe zu Dutzenden von Blüten, deren Blätter wie Flammen züngelten.
     Tarmino tastete nach dem großen ledernen Beutel, den die Salamiter ihm gegeben hatten, um eben diese Blüten einzusammeln. Ein Gefühl drohender Gefahr beschlich ihn, und rasch führte er den
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