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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht
Autoren: Sylvie Schenk
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FELD 1: MARTIN/MARTINA IM APRIL
    Im Englischen bedeutet »to make up« nicht nur »sich schminken«, sondern auch »sich erfinden«, »sich ausmalen«. To make up a story bedeutet, eine Geschichte erfinden.
    N ANCY H USTON,
Reflets dans un œil d’homme
    Der April blühte und er wollte sich mit seinem schizophrenen Körper verbünden: Er trug ein diskretes Make-up auf, schminkte sich die Augen, sah im Spiegel das Abbild der Mutter in seinem Alter. Er musterte seine Schultern, nicht breit, fein strukturiert, befühlte die Dünen der unbehaarten Brust, das Tierchen zwischen den Beinen, ein Schneckelchen, das sich irrtümlich an ihn gehängt hatte. Am liebsten liebkoste er seine goldene Mitte, den Solarplexus, der das Geflecht der Gefühle vereinigt, die Garbe der Regungen zusammenbindet, den geschlechtslosen Bauch, flach, hart, mit dem Nabel, der ihn an seine Bindung zur Mutter, zur Erde und zum Wasser erinnert. Er streichelte seine glatten Unterschenkel, rutschte mit der Hand weiter nach oben. Die Haut atmete sanft, das Innere der Schenkel fühlte sich zart an. Seine Beine waren schlank und lang, das regelmäßige Schwimmen hatte die Muskulatur nicht zu sehr hervorgehoben. Er zog Nylonstrümpfe an, allein das Abrollen des Strumpfes (mit seidenen Handschuhen) machte ihn zur Frau. Das Mädchenhöschen, aus festem, elastischem Textil, bei Bayer-Tanzladen besorgt, ließ die Geschlechtsknospe abflachen. Der gepolsterte schwarze BH dazu. Sein Trick: Zu dem geblümten Kleid zog er einen Männerhut mit breiter Krempe an: Es verlieh ihm das Aussehen einer jungen Frau aus den fünfziger Jahren, die sich einen männlichen Touch geben möchte. Niemand käme darauf, er sei ein Mann, der sich in der Haut einer Frau erleben wolle. Ein Trenchcoat à la Bogart über dem Kleid. Italienische Schuhe mit Richelieu-Absätzen. Er übertrieb nie. Transvestiten mit gefährlichen Bleistiftabsätzen, übertriebener Schminke und Minirock fallen schnell auf: Transvestiten eben. Er schaute sich an: Ich bin ein Mann und eine Frau, eine Frau in einem Mann, die ab und zu nach Ausgang verlangt.
    Was wünscht die Dame?, piepste der Kellner der verruchten und verrauchten Bar Zum roten Ofen . Gelbe Strähnen klebten ihm ein Gitter vor die zugekniffenen Augen, die Martina verschwörerisch festhielten. Was wünscht die Dame? Sein dreieckiges Gesicht beugte sich im fahlen Licht zu ihr, und die Lippen entblößten zwei kräftige Schneidezähne. In einem früheren Leben war der Typ eine Ratte gewesen. Im Schutz des Halbdunkels errötete sie vor Freude über die Taufe, die er ihr spendete, und gurrte blasiert: Einen Whisky on the rocks bitte, und der Mann warf der Frau, die sich hierher verirrt hatte und wie eine Lesbe aus einem Schwarz-Weiß-Film ihr Getränk mit kehliger Stimme verlangte, der Mann warf ihr einen anerkennenden Blick zu. Als er das Whiskyglas brachte und das Eis darin klirren ließ, stellte er sich als »der Ludwig« vor und fragte, ob die Dame zum ersten Mal hier sei. Martina hauchte ein verheißungsvolles Ja und legte eine Zigarette in die Zigarettenspitze, eine filmreife Femme fatale. An der Theke beobachtete sie ein Mann im besten Alter, und Martin wurde jetzt ganz zu Martina, die sich sagte: Ein Mann im besten Alter beobachtet mich. Sie lächelte und wich seinem Blick nicht aus. Als der Ludwig wieder hinter seiner Theke stand, erhob sich der Unbekannte, ging langsam zu ihr, stellte sein Bierglas auf ihren Tisch, stützte sich mit beiden Händen auf das schmierige Holz. Darf ich? Er roch nach Chemikalien, Äther vielleicht, ein leicht unangenehmer Geruch, den Martina nicht definieren konnte. Sein Magen, sein Atem vielleicht. Seine leicht geröteten Augen tränten, womöglich eine Bindehautentzündung, eine Allergie gegen den Rauch, die Brauen nicht buschig, gut geschnitten, die Frisur – sein Haar nach hinten gekämmt – wirkte altmodisch; grobporig glänzte die Haut unter der Schirmlampe. Er sah aus wie jemand, der aus dem Wasser gestiegen war, aus einem trockenen Wasser, ach, wie komme ich auf so absurde Ideen, schmunzelte Martina, die sich als Kind gewundert hatte, dass Wasser auf Gemälden trocken war, da sich da nie etwas wie Wasser anfühlte, vielleicht ihre erste Erfahrung als Kind mit der Malerei, eine Einsicht, die sie der Mutter verdankte, die ihr ein Bild von Arnold Böcklin gezeigt
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