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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel
Autoren: Alexander Kuprin
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    Vorzeiten, lange ehe es Eisenbahnen gab, wohnten am äußersten Rande einer großen Stadt im Süden seit Generationen die Fuhrleute – vom Fiskus bezahlte und auch private Fuhrunternehmer. Daher nannte man diese Gegend auch Fuhrmannsvorstadt oder einfach Kutscherviertel oder, noch kürzer, das Viertel. Später, als die Dampfkraft das Pferdefuhrwesen verdrängte, gab das fröhliche Fuhrmannsvolk allmählich sein verwegenes Gebaren und seine bravourösen Sitten auf, wechselte in andere Gewerke über, fiel auseinander und wurde in alle vier Winde verstreut. Doch dem Viertel haftete über viele Jahre – sogar bis in unsere Zeit – der zwielichtige Ruf eines Ortes an, wo Ausschweifungen, Suff und Schlägereien an der Tagesordnung sind und wo es zu nächtlicher Stunde nicht ungefährlich ist.
    Es ergab sich wie von selbst, daß auf den Trümmern jener alten Behausungen, wo früher rotwangige, mit allen Wassern gewaschene Soldatenfrauen und schwarzhaarige appetitliche Fuhrmannswitwen heimlich mit Wodka und freier Liebe gehandelt hatten, nach und nach öffentliche Häuser entstanden, von der Obrigkeit zugelassen, unter offizieller Aufsicht geführt und speziellen strengen Regeln unterworfen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden beide Straßen des Viertels – die Große Kutschergasse und die Kleine Kutschergasse – durchweg von Freudenhäusern eingenommen, auf der einen wie auf der anderen Seite. Private Gebäude sind höchstens noch fünf oder sechs übriggeblieben, doch auch in ihnen befinden sich Kneipen, Bierstuben und Kramläden, die den Bedürfnissen der lokalen Prostitution dienen.
    Lebensweise, Sitten und Gewohnheiten sind in fast allen der reichlich dreißig Etablissements die gleichen, der Unterschied liegt nur im Preis, der für flüchtige Liebe erhoben wird, und demzufolge auch in einigen kleinen Äußerlichkeiten: in der Auswahl mehr oder weniger schöner Frauen, in der relativen Eleganz der Kleidung, im Luxus der Räumlichkeiten und ihrer Einrichtung.
    Das vornehmste Etablissement ist das von Tröppel am Anfang der Großen Kutschergasse, erstes Haus linker Hand. Das ist eine alte Firma. Ihr jetziger Besitzer heißt ganz anders und hat Sitz und Stimme in der städtischen Duma, er ist sogar Ratsmitglied. Das Haus ist zweistöckig, in Grün und Weiß gehalten, erbaut in pseudorussischem verschnörkeltem Ropet-Stil, mit Dachreitern, geschnitzten Fensterblenden, Hahnenmotiven und hölzernen Fensterläden, die von ebenfalls hölzernem Filigranzierat gerahmt sind; drinnen ein Teppich mit weißem Treppenläufer; in der Vorhalle ein ausgestopfter Bär, der in den vorgestreckten Pranken eine hölzerne Schale für Visitenkarten hält; im Tanzsaal Parkett, an den Fenstern schwere rote Seidenvorhänge und Tüllgardinen, an den Wänden weiß-goldene Stühle und Spiegel in vergoldeten Rahmen; es gibt zwei Chambres séparées mit Teppichen, Sofas und weichen atlasbezogenen Hockern; in den Schlafzimmern sind hellblaue und rosa Lämpchen, seidene Decken und saubere Kissen; die Bewohnerinnen tragen weitausgeschnittene Ballkleider mit Pelzbesatz oder kostbare Kostüme als Husaren, Pagen, Fischerinnen und Gymnasiastinnen; die meisten von ihnen sind Deutsche von der Ostsee – üppige schöne Frauen, vollbusig und weißhäutig. Bei Tröppel zahlt man für einen Besuch drei Rubel, für die ganze Nacht zehn.
    Die drei Zweirubeletablissements – das von Sofja Wassiljewna, das »Alt-Kiew« und das von Anna Markowna – sind etwas bescheidener. Die übrigen Häuser in der Großen Kutschergasse sind noch schlechter eingerichtete Einrubelbordelle. Und in der Kleinen Kutschergasse, wo Soldaten, kleine Diebe, Handwerker und überhaupt allerlei Volks verkehrt und wo man für den Aufenthalt fünfzig Kopeken und weniger verlangt, ist es ganz und gar schmutzig und verkommen: der Fußboden im Saal uneben, rissig und abgetreten, die Fenster mit roten Kattunfetzen verhängt; die Schlafräume wie Pferdebuchten durch dünne Trennwände, die nicht bis zur Decke reichen, voneinander abgeteilt, und auf den Betten liegen heugefüllte Matratzen und darauf zerknüllte, zerrissene, im Laufe der Zeit dunkel gewordene, fleckige Laken und löcherige Decken; die Luft riecht säuerlich und verqualmt, Alkoholdunst und der Geruch menschlicher Ausdünstungen mischen sich darein; die Frauen, in farbigen Kattunfetzen oder in Matrosenkostümen, haben größtenteils heisere oder verschnupfte Stimmen, plattgeschlagene Nasen und Gesichter, auf denen die Spuren
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