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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender
Autoren: Matthias Goeritz
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habe? Schnellgründung hier, Schnellgründung da, so schnell hatte ich noch nie die Millionen zusammen, die der Produktion noch gefehlt haben, und glauben Sie nicht, dass meine Partner lange fragen, wo das Geld her ist. War immer so, Ufa, Hollywood, Bollywood, Hongkong, große Geldwaschanlagen sind das. Aber ist das nicht das Gleiche wie vor sechshundert Jahren, als die Borgia die besten Künstler aus Venedig, Florenz, Nürnberg abgeworben haben, um ihr gekauftes, geplündertes, vergewaltigtes Rom aufzumöbeln? Sehen Sie, die Geschichte wird von den Siegern geschrieben – und wenn die abtreten oder gezwungen werden abzutreten, ändert sich die Geschichte. Nur die Kunstwerke bleiben.
    Sie können auch die ganze Zeit auf einen Fluss starren oder ihren Hund beobachten, wie der verzückt an einem Stöckchen knabbert. Ein großer, langer Atemzug, Kameraschwenk, ein Bogen. Dann brauchen Sie irgendein Detail, das Ihnen sagt, dass der Charakter sich an etwas erinnert, seine Kindheit, seine erste große Liebe, die Armut, in der seine Familie gelebt hat. Wenn Sie das gut machen, ich meine richtig gut, mindestens aber Hollywood-gut, dann brauchen Sie das nicht eins zu eins zu zeigen, oder, Gott bewahre, wie sie das bei all den Romanverfilmungen immer machen, als Voice-over nachliefern. Bilder sind nicht abstrakt,sie sind das Gegenteil von Worten. Jeder versteht sie. Worte nicht. Und aus diesem Gegensatz müssen Sie das eigentliche Drama machen.
    Meine Eltern haben sich mitten im Krieg kennengelernt. Mein Vater war auf Urlaub. Schon witzig, nicht, auf Urlaub vom Krieg, als wenn das ein normaler Nine-to-Five-Job wäre. Er ist nach Hause gefahren, 1940, zu seiner Mutter, wie er dachte. Aber die war längst ausgebombt, aufs Land gezogen. Das hat erst mal gedauert, bis er sie gefunden hat. Sie arbeitete bei einem Sender, damals haben die Frauen ja alles gemacht. Unterhaltung. ‹Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern, keine Angst, keine Angst, Rosemarie!› Und da arbeitete auch meine Mutter. Gerade mal siebzehn. Wenn man sie auf Fotos sieht, hat man das Gefühl, sie wäre die Zwillingsschwester von Marlene, nicht so grobknochig vielleicht, Marlene hatte ja eher die Figur eines Pferds, aber ihre Ausstrahlung, ein Mordsweib, trotz Zöpfen. Das muss ganz schnell gegangen sein mit den beiden. Im Krieg, wissen Sie, im Krieg können einen Gefühle umbringen. Das hat mein Vater immer gesagt, und als er das von meiner Mutter erfahren hat, dass sie verbrannt war, da ist wohl irgendetwas mit ihm passiert. Die Verwundung, die Gefangennahme, der Todesmarsch, die Umschulung, die Filmschule; alles will er wie in Trance wahrgenommen haben, wie eine gut funktionierende Puppe. Nur für Filme hat er sich bis zuletzt interessiert. Für nichts sonst.
    Bei seiner Beerdigung sollte es
Kinder des Olymp
geben, es kam aber keiner. Das muss schrecklich gewesen sein, noch einmal zu sterben, obwohl er doch schon tot war, mit all den Schläuchen in ihm drin, künstlich am Leben gehalten, wie eine Marionette der Ärzte. Ich bin in Amerika geblieben; nicht rübergeflogen; wir machten gerade … ach, irgendwas. Ich hab mir das nie verziehen. Dass ich nicht bei ihm war.
    Hören Sie das? Es fängt wieder an zu regnen.»
    Velder beugte sich vor und zog die Lautsprecher, die er an das Notebook angeschlossen hatte, weiter auseinander. In seiner Wohnung war schon alles verpackt, man hörte plötzlich ein Prasseln, dann ein seltsames Schlagen, als würden kleine Steine gegen eine Glasscheibe geworfen, ein Donnern, dann wirklich, das Geräusch von Wasser, als gösse jemand einen Eimer aus, ein Geräusch, das immer mehr zu einem Rauschen wurde. Minutenlang. Er sah sich im Zimmer um. Seine alte Stehlampe brannte, die er auf dem Flohmarkt gekauft hatte, als er hierhergekommen war. Die würde er hierlassen, wenn er in das obere Stockwerk der Villa am Englischen Garten einzog, wo die Produktionsfirma saß.
    Die Kisten waren schon gepackt. Anfangs hatte Melanie ihm geholfen, aber dann hatte er zwei Leute aus der Firma kommen lassen, das meiste würde zur Heilsarmee gebracht werden, er musste sein Leben neu beginnen, das konnte man nicht in den alten Sachen. Melanie würde nicht wieder bei ihm einziehen. Sie hatte eine Stelle in London angenommen. Das gab ihm Zeit. Er konnte die Beziehung mit ihr auslaufen lassen, schmerzlos, wie es solche Lieben, solche Affären immer
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