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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender
Autoren: Matthias Goeritz
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dann in Rom wieder an. Ralph prüft gerade, wen wir noch brauchen.»
    Gebraucht hatten sie ja dann, nach dem Desaster in Rom, dem Tod des alten Mannes und dem Abtauchen der Stars,ein ganz neues Konzept. Und das hatte er geliefert. Die Produktion vollständig umgekrempelt, mithilfe eines Fernsehsenders neu finanziert. Die Russen waren weg, die Italiener. Die Hollywoodstars. Aber die Ideen des alten Mannes waren ihm im Ohr geblieben, er hatte sich selbst bei den Treffen mit Finanziers, mit dem neuen jungen polnischen Regisseur – Wenders hatte sich sofort für ihn eingesetzt, was er ihm hoch anrechnete – oft gefragt, was der alte Mann wohl sagen würde, könnte er ihn jetzt sehen. Ohne Mikrofone, ohne Aufnahmegerät, manchmal mit Ralph, manchmal mit einer der Sekretärinnen an seiner Seite. Wie merkwürdig es war, dass ein Mensch sich so verändern konnte, einfach dadurch, dass man ihn in eine ganz andere Situation warf, dass man ihn vom Spielfeld nahm und an einer ganz anderen Stelle wieder aufstellte. Wahrscheinlich war es das gewesen, was der alte Mann damals bei Ihrem letzten Gespräch in Ferrara gemeint hatte, als er von der Disposition des Menschen gegenüber den großen Fragen, wie Gott und dem Schicksal, gesprochen hatte. Jedenfalls war der Film fertig geworden, ganz anders als ursprünglich vom Produzenten geplant und doch … irgendwie war
Gleiwitz
auch sein Film geblieben. Er öffnete noch eine Dose Cola Zero und zündete sich einen Zigarillo an. Er drückte den Lautstärkeregler am Computer und hörte wieder in ihr Gespräch herein.
    Â«Ich glaube, dass die Menschen schon immer auf den Film gewartet haben. Schon die ersten Zeichnungen in den Lascaux-Höhlen oder dieses
Dot-Painting
der Aborigines, das sind alles Visionen von einem Bild, das sich eigentlich hinter den Augen abspielt, wo man die Bewegung nur andeuten, festfrieren, stoppen kann. Die Suche nach den bewegten Bildern trieb die Künstler an. Das sieht man auch in den Statuen, in der Drehung der Muskeln, dem Halten einesSpeers, dem Blick nach vorn. Es musste weitergehen, auf ein Ziel zu. Es lädt die Zuschauer ein, es sagt: Und das, was Sie gleich sehen werden, ist vielleicht das Schönste, das Rätselhafteste, das Abenteuerlichste, was die Welt zu bieten hat. Es geht darum, das Leben einzufangen, die Träume. Ein Jahrmarktstrick! Und alles ohne Kirche, ohne Jesus, ohne Religion. Ist das nicht das Versprechen, ist das nicht der Zauber von Kunst?
    Die Idee, man könnte diese Schönheiten gänzlich in sich aufnehmen. Das war ja gerade das Geniale der Brüder Lumières. Die Gleichung umzudrehen: Das Licht der Welt fällt durch die Linse in den Kasten, das Filmmaterial bewegt sich regelmäßig und nimmt die Zeit in ihrem Sekundenlauf Körnchen für Körnchen auf. Und wenn man es dann langsam in die andere Richtung kurbelt, von einer künstlichen Lichtquelle beleuchtet auf eine weiße Fläche strahlt, dann gibt es die Welt wieder her. Festhalten, für immer. Zumindest die Bilder.
    Ich träume immer noch von dieser anderen Welt. Einem Kinosaal in rotem Plüsch, in dem wir versinken, das Licht geht aus, Sie fallen fast automatisch in diese fieberhafte Stimmung, der Vorhang öffnet sich, und dann beginnt das wirkliche Leben. Ein anderes Leben. Naiv nicht? Gefangen in meiner eigenen Vorstellung vom Glücklichsein.
    Man ist alt, wenn man mehr Zeit damit verbringt, an die Vergangenheit zu denken als an die Zukunft.»
    Er hielt die Aufnahme an, trank die Cola in zwei großen Schlucken aus, drückte den halbgerauchten Zigarillo aus und zog den Cursor ein Stück vor. Dann ließ er weiterlaufen.
    Â« … wenig. Der größte Roman, den ich kenne, ist die Geschichte. Ja. Nichts scheint die Menschen so zu faszinieren wie der Krieg. Noch heute. Was wäre die Ilias unsererTage? Keine Ahnung, wie ich das beschreiben soll. Heute haben wir ja alle Angst vor dem Zusammenbruch der Währung, dem Zusammenbruch unseres Geldsystems. Ich will Ihnen mal etwas sagen. Geld, das lernt man in meinem Beruf, ist etwas so Fiktives, es erstaunt mich immer wieder, dass die Leute sich wundern, wenn sie in solche Situationen geraten wie heute. Sehen Sie sich Italien an. Bunga Bunga nicht nur an der Staatsspitze, das ganze Land ist korrupt. Was glauben Sie, was die alles aufgefahren haben, als ich denen die
Gleiwitz
-Produktion für die Cinecittà versprochen
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