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Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber
Autoren: Wolfgang Burger
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    Nichts wäre besser, wenn ich den Anfang noch wüsste. Keiner der Toten würde wieder zum Leben erwachen. Auch nicht die, für deren Tod ich selbst die Verantwortung trage.
    Nichts würde sich ändern, wenn ich mich daran erinnern könnte, wann ich zum ersten Mal von Rosana hörte. Dennoch will irgendetwas in mir unbedingt wissen, wie und wann genau sie in mein Leben trat. Vielleicht, um in meinem Kopf wenigstens eine Illusion von Ordnung zu schaffen. Um dieser Geschichte, deren Ende ich so gut kenne wie kein Zweiter, einen Anfang zu geben.
    Denn jede Geschichte muss doch ihren Anfang haben.
    War Rosana zunächst eine nur mit halbem Ohr gehörte Nachricht im Radio? Oder war sie Inhalt eines unfreiwillig belauschten Gesprächs beim Edeka-Markt an der Ecke? Ich weiß es nicht mehr. Im Grunde hat sie sich in mein Leben geschlichen. Still, wie es ihrer Natur entsprach, und als nebensächliche Randfigur.
    Wieder einmal hatten wir einen Jahrhundertsommer in diesem Jahr, es war Ende Juli, und mit unserem Urlaub war alles schiefgegangen. Ich hatte geplant, mit meinen Töchtern für zwei Wochen meine Eltern zu besuchen, die sich im Süden Portugals, in der Nähe von Albufeira, zur Ruhe gesetzt hatten.
    Mutter war es gewesen, die vor fünf Jahren zur Überzeugung kam, sie habe in ihrem Leben genug Regen gesehen. Als Vater dann etwas vorzeitig in Pension ging, hatte sie ihn mehr oder weniger zur Flucht in den Süden gezwungen. Seither sahen wir uns selten. Immer war etwas dazwischengekommen. Einmal scheiterte unser Besuch in der neuen Heimat meiner Eltern daran, dass meine Töchter – natürlich absolut gleichzeitig – an Mumps erkrankten. Ein anderes Mal lag es am überraschenden Tod von Vera, meiner Frau, später an meiner Versetzung nach Heidelberg. Einmal war Mutter unpässlich gewesen, oder es streikten eigens für uns die portugiesischen Fluglotsen. So hatte ich in den vergangenen fünf Jahren meine Eltern nur zwei Mal getroffen.
    Diesmal hatte nun alles so ausgesehen, als würde es klappen. Die Flüge waren gebucht, alle Fluglotsen auf dem Posten, die Nachbarschaft informiert, sogar ein Teil des Gepäcks schon gepackt, als der aufgeregte Anruf von der Algarve kam: Wasserrohrbruch in der Wohnung über der meiner Eltern. Überschwemmung, Riesenkatastrophe, Teppiche, Möbel, Bücher, Tapeten, alles Mögliche beschädigt. Zum Glück war der Nachbar gut versichert, aber für die nächsten Wochen würden meine Eltern nun erst einmal im Hotel wohnen müssen, und an einen Besuch war unter diesen Umständen natürlich nicht zu denken. Mein naheliegender Vorschlag, sie sollten doch stattdessen nach Heidelberg kommen, stieß auf ratloses Unverständnis. Fast schien Mutter sich vor einer auch nur vorübergehenden Rückkehr in ihre alte Heimat zu fürchten.
    Meine Zwillinge waren in Maßen enttäuscht gewesen. Um etwas anderes zu organisieren, war es jetzt, mitten in der Hochsaison, zu spät, und so verbrachten sie ihre Ferientage auf den Wiesen am Neckarufer oder im Schwimmbad. Einmal machten sie sogar zusammen mit Freunden und Freundinnen eine richtige altmodische Radtour nach Schwetzingen und schwärmten anschließend mit leuchtenden Augen vom dortigen Schloss und dem großartigen barocken Park. Mit jedem Tag wurden sie brauner, kräftiger und gesünder.
    Auch ich hatte endlich wieder einmal etwas für meinen Körper tun wollen. Aber morgens war ich zu müde zum Joggen, tagsüber war es zu heiß, und abends war ich vom Faulenzen erschöpft. Je weniger ich mich bewegte, desto schlapper wurde ich, und so war ich drauf und dran, mich zum Perpetuum immobile zu entwickeln. Ich hing zu Hause herum, zu träge, all die lästigen Dinge zu erledigen, für die ich nun Zeit hatte: die Steuererklärung, die immer wieder aufgeschobene Reparatur meines Fahrrads, das überfällige Streichen des Balkongeländers auf der Westseite.
    Andererseits genoss ich es, mich ohne eine Spur von schlechtem Gewissen von morgens bis abends zu langweilen und alles zu lesen, was mir in die Finger geriet.
    So wird es wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit die Zeitung gewesen sein, aus der ich zum ersten Mal von Rosanas Existenz erfuhr. Eine kleine Meldung in einem Kästchen auf der Lokalseite: Verunglückte Motorradfahrerin mit schweren Kopfverletzungen ins Uniklinikum eingeliefert. In der Nacht von Samstag auf Sonntag war es gewesen, irgendwo auf einem dieser steilen und kurvigen Sträßchen, die zum Königstuhl hinaufführten, dem Heidelberger
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