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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender
Autoren: Matthias Goeritz
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alten Mannes, eher kam es dem Interviewer so vor, als hätte die eben noch energisch gestikulierende Hand mit ihren riesigen, fast kontinentalen Altersflecken, die jetzt auf dem Gerät neben ihm zur Ruhe kam, ein überdimensioniertes Organ gestreichelt. Eine stählerne Niere vielleicht. Er versuchte, seine Konzentration wieder auf seinen Gesprächspartner zu lenken.
    Â«Na gut, ein paar Konkurrenten gibt es schon, viele von uns sind ja inzwischen in die Vorstandsetagen aufgestiegen. Sie wissen, mit ‹Fixer› meine ich nicht irgend so einen neumodischen Schnupfer, Drücker, überdrehten Hyper, der Ihnen die Welt einmal bunt und dann übernüchtern zeigt, wenn die Party vorbei ist und der seine Sachen packt, wenn das Einspielergebnis der ersten Tage vorliegt. Ich mag den Ausdruck Vermarkter nicht, das klingt so, als handelten wir mit Fischen oder Versicherungspolicen. Nein, ich meine einen Kerl der alten Schule, einen, der an Filme
glaubt
, aber auch weiß, wie man sie in die Kinos bringt, verstehen Sie?»
    Der Interviewer nickte und überprüfte noch einmal den Ladestand an seinem Gerät. Es war einer der neuesten digitalen Recorder, er hatte richtig etwas springen lassen. Und obwohl er kein Technikfanatiker war, hatte er sich nach dem Kauf einige Tage lang damit beschäftigt, sich von einem technisch begabteren Kollegen zeigen lassen, wie es funktionierte und wie man den Raumklang aussteuerte. Was das anging, war er guten Mutes nach Italien aufgebrochen. Es wäre zu ärgerlich, wenn er dieses Gespräch nicht perfekt auf die Speicherkarte bekam. Normalerweise hatte er immer ein Zweitgerät dabei, aber es war ihm letzte Woche bei einer Vernissage in München gestohlen worden, als er sich kurz umgedreht hatte, um ein Glas Sekt von einem Tablett zu nehmen.
    Â«Da fängt nämlich das Problem an. Den Film in die Kinos zu bringen. Was nützt Ihnen ein Meisterwerk, wenn es keiner sieht? Tausende Meter totes Material, verschwendete Zeit, verschwendetes Geld. Eben. Meine Kampagnen haben fast so viele
Trailer Awards
und Schlüsselpreise der Industrie gewonnen wie die von Palen – und ich mache grundsätzlich keinen Horror. Haben sie den für
Hostel
gesehen?Igitt, Pornografie, reine Pornografie. Aber die Idee für das
Rambo-
Poster im letzten Jahr, Rambo als Che Guevara? Das war einfach genial. Ja, der kann was.»
    Die Einladung war überraschend gekommen. Schon lange hatte er versucht, den alten Mann für ein Gespräch zu gewinnen. Er galt als einer der Großen in seinem Geschäft, aber er war immer im Hintergrund geblieben, die Leute wussten wenig bis nichts über ihn. Es gab ein paar Fotos von Filmpartys, doch keine Klatschgeschichten dazu; nie war Privates nach außen gedrungen. Und dann, im Februar vor zwei Jahren, hatte sich plötzlich alles verändert. Skandalbilder waren vom Set von Quentin Tarantinos
Inglorious Basterds
aufgetaucht. Man hatte den Produzenten mit einer Handykamera aufgenommen, wie er Tarantino eine Ohrfeige verpasste. Es war der letzte Drehtag im Pariser Studio gewesen. Die Bilder kreisten eine halbe Nacht über Twitter und andere Netzwerke durch die Foren und Filmportale, zuerst hielt man sie für Fälschungen, aber dann klinkte sich die Murdoch-Presse ein und behauptete, Quentin habe zurückgeschlagen. Hiervon gab es allerdings kein Bildmaterial, zumindest war nie welches aufgetaucht. «Helmut hits» oder «Quentin’s newest hit» hatte nicht nur die Klatschpresse getitelt, auch seriöse Zeitungen zogen mit, und nun war die Story, die jeder hinter dem Bild witterte, für ein paar Tage weltweit in den Nachrichten. Der Kultregisseur, der sich von Helmut Erlenberg schlagen ließ. Von Helmut Erlenberg, dem alten deutschen Produzenten. Was hatte sich da hinter den Kulissen abgespielt, ausgerechnet als Tarantino an seiner Umdeutung der Geschichte bastelte, als er im Film Hitler im Flammeninferno sterben ließ?
    Man verlangte Erklärungen. Man war schockiert. Nannte Erlenberg einen alten Geldsack, der das Ungeheuerliche angestellt hätte, indem er seinen eigenen Regisseur ohrfeigte.Und Erlenberg war ja noch nicht einmal Haupt-, sondern bloß Koproduzent des
Basterds
-Films. Über Facebook verlangte Tarantinos Fangemeinde wütend Satisfaktion. Drohungen wurden laut gegen den teutonischen Spinner: Man wolle ihn wegputzen, ihn flashmobben. Sogar die Polizei schaltete sich ein. Eine Weile
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