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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender
Autoren: Matthias Goeritz
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gesprochen?
    Â«Wo war ich? Ach ja, Gewalt und Gegengewalt, dazu die phänomenale Kulisse aus Urwäldern, Flüssen und Wüstenund mittendrin ein Star wie Kidman. Was passierte dann? Die Produktion steckte fest – Probleme am Drehort, es sollte alles authentisch werden, aber es war so authentisch, dass wir kein Wasser kriegten, dann wurde die Kidman krank, und den Geldgebern gefiel die Alternativbesetzung nicht, also hieß es warten; dann liefen die ersten Testvorführungen nicht so – kein Wohlfühlfilm, fanden die Frauen, zu viel Leid, zu wenig Romantik –, und dann sprang einer der Koproduzenten ab. Und einen Verleih haben die auch noch nicht gefunden, wollten sie unbedingt selbst machen, die Kidman und ihr Berater. Na, warten wir’s ab.»
    Der Interviewer setzte sich wieder. Das Gerät lief tadellos. Er dachte an den Windschutz, den er über die Mikrofonköpfe gezogen hatte, wahrscheinlich war der jetzt millionenfach voll mit Speicheltröpfchen, ein weiches Schleimparadies für Mikroben. Wie merkwürdig musste diese ganze Szene für Beobachter aussehen. Der Interviewer interessiert vorgebeugt, immer wieder mit einem Nicken, leise ein paar aufmunternde, nicht zu präzise Fragen stellend, bestätigend lächelnd, die Augen im Wundern aufgerissen, wie ein Kind, dem man eine ganz große Abenteuergeschichte erzählte. Der alte Mann in seiner krankheitsabweisenden, Normalität suggerierenden Uniform, aufrecht, mit wenigen, immer energischer werdenden Bewegungen. Und zwischen ihnen das lange, raketengleich aufragende Doppelmikrofon, ein gespaltener Penis auf seiner Rampe, feuerbereit. Der Mund war das Ziel. Nur saugte es selbst alles auf, schluckte, was Raum und Mund hergaben. Toter Sex für die Konserve. Was der alte Mann ihm hier kregel anvertraute, dafür hätte er nicht aus Deutschland kommen müssen.
    Â«Wenn es dann aber losgeht – sagen wir: Ich habe noch Hoffnung für den Sudan –, dann kommen Leute wie ich ins Spiel. Die moderne Kampagne, müssen Sie wissen, hat drei Akte. Ist ja schließlich keine Tragödie. Also eins: Ungefähr ein Jahr bevor der Film in die Kinos kommt, lässt du seine Existenz schon mal durchsickern. 90-Sekunden-Teaser, Trailer und diese sogenannten illegalen Internetdownloads von Schlüsselszenen. Die wir natürlich genau auswählen. Es gilt, eine Gemeinde zu bilden, es muss Foren geben, in denen sich die Diskussion um den Film entfacht, wie cool dies aussieht, und wie geil der oder die als Held oder Bösewicht rüberkommt. Vorwissen erzeugt Erregung, es ist eine Art Vorspiel, aber mit minimalem Körperkontakt. Es geht nur um die Augen. Irgendein Detail soll sich festbeißen, ein Detail hier, eine Stimmung da, es reicht auch ein Name, ein schmissiger Titel in Verbindung mit einer Stimmung. So wie die Collegejungs vom
Blair Witch Project
das gemacht haben. Grusel, authentisch. Verschweigen, aber nach einer wahren Begebenheit. Da war massig Internetverkehr vorher. So muss das laufen. Der Film war dann nichts, aber egal. Zweiter Akt: der Haupttrailer. Der muss dann richtig heiß machen. Vier Monate vor dem Film muss der überall im Kino laufen. Ganz wichtig ist, vor welchem Hauptfilm der läuft. Im günstigsten Fall sagen sich dann die Zuschauer, wie gut, dass ich hier reingegangen bin, jetzt weiß ich, was ich wirklich sehen will, hoffentlich läuft der bald. Aber das ist Geplänkel. Die eigentliche Attacke beginnt fünf Wochen vor der Premiere. Überall hängen Plakate, Anzeigen in den Zeitungen, man startet mit 30-Sekunden-Spots im Fernsehen, auf allen Kanälen, reduziert dann die Trailerlänge auf 15 Sekunden, es muss etwas in die Luft fliegen, irgendetwas absolut Erstaunliches muss passieren, wir nennen das den ‹Ach-du-heilige-Scheiße-Moment›, man versucht, Bilder einzuhämmern, seinen Filmtitel, bis der Zuschauernicht mehr anders kann, als ins Kino zu gehen, um zu sehen, was an der ganzen Sache nun dran ist.
    Sie finden, das ist ein zynisches Beispiel für die Macht der Vermarktung? Natürlich. Würde es nicht darum gehen, könnten John Malkovich oder Tilda Swinton in jedem zweiten Film mitspielen. Sie müssen es simpel machen. Der Zuschauer muss sich sofort vor Ort befinden, der Trailer soll ihn in eine fremde Welt hineinlocken, die ihn dann wochenlang nicht mehr loslässt – eben, bis er hineingeht. Sie brauchen vor allem die
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