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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender
Autoren: Matthias Goeritz
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Tarantino war. Kriegen Sie raus, was die beiden da so aufgeregt hat. Alles, egal wie. Wir brauchen etwas, was die anderen nicht haben, dann kriegen Sie so viel Platz für ihre Storys wie Sie wollen … Der Redakteur war ein Arsch, ganz sicher. Aber er hatte dieses besondere Gespür. Verstand etwas von Themen, die in der Luft lagen.
    Â«Sie schweigen. Rauchen und schweigen. Man könnte meinen … Sagen Sie, Sie haben nicht von dem Gleiwitz-Film gehört? Ist doch etwas durchgesickert? Sie wissen etwas, nicht wahr? Ich sehe das. Ich wusste, dass Sie nicht bloß irgend so ein Porträt über mich machen wollen, dass Sie noch einen Grund haben, hier herauszukommen nach Italien. Ich wusste es. Aber Sie sind klug, Sie schweigen. Ja, ich sage Ihnen was: Es wird ein Film über die Inszenierung des Zweiten Weltkriegs, genauso gut wie dieser DEFA-Film damals, 1961, nur mit wesentlich mehr Reichweite. Jedenfalls haben wir uns die Rechte an der Geschichte gesichert.»
    Gleiwitz? Ein Film über den Kriegsbeginn? Das war neu. Davon hatte er bis jetzt nichts gehört. Er bedeutete dem alten Mann durch ein Nicken, fortzufahren. Aber der sprach ohnehin weiter.
    Â«Ich weiß, Sie haben diesen Artikel geschrieben.
Die Ethik der Bilder
. Ihre Kritik an
Schindlers Liste
, dass die Leute da heute nach Krakau fahren und
Schindlers-Liste
-Stadtrundfahrten machen und unterhalb dieses Hügels in Podgórzehalten, dann in das Konzentrationslager gehen, das Spielbergs Produktionsdesigner ein paar 100 Meter vom historischen Lager entfernt wieder aufgebaut haben. ‹Originalgetreu›, ganz in der Nähe von Oskar Schindlers Fabrik. Ja, und nun? Alle halten das Filmset für das echte Lager. Denn so kennen Sie’s ja aus dem Kino. Waren Sie mal da? Heute gibt’s im Steinbruch unterhalb vom Kopiec Krakusa massenhaft Eidechsen. Jedenfalls im Sommer. Was ist real? Was heißt das für die Moral? Schon problematisch. Mir hat das imponiert. Was hat Stanley Kubrick zu dem Film noch gesagt? Helfen Sie mir …»
    Erlenberg schnippte mit den Fingern, der Interviewer lächelte betreten.
    Â«Der Holocaust handelt von sechs Millionen Menschen, die vernichtet werden.
Schindlers Liste
von den 600, denen das nicht passiert.»
    Â«Ja, schön. Und Jerry Seinfeld hat in einer Folge seiner Show sein Date in den Film eingeladen, quer über die Kinopolster gelegt und den ganzen Film über rumgeknutscht.»
    Der alte Mann lächelte ihn an. Seine Augen glänzten. Der Interviewer fühlte sich unbehaglich. Er zog an seiner Zigarette. Erlenberg nickte ihm zu; der Interviewer sollte sich klar darüber sein, dass dies hier wichtig war.
    Â«Jüdischer Humor. Meinen Sie, allein der Kitschverdacht hebelt Spielbergs Filme aus? Also alles in allem ist ihr Ansatz zu … zu … idealistisch, möchte ich mal sagen. Von wegen, die Welt bräuchte Filme mit ‹Aufklärungsauftrag›. Ich sage das verkürzt, ja. Wie soll das denn gehen, was wollen Sie? Einen ‹Who-done-it-break›? Eine Filmpausemit tickender Uhr, für 60 Sekunden, kurz bevor die SS-Männer den polnischen Häftling erschießen? In der die Zuschauer mit ihren Nachbarn diskutieren können, was so eine schreckliche Geschichte für Lehren bereithält, wie sich das Ganze auf der Leinwand aufgeklärt hat? Wie es weitergeht? Verehrtester, das ist schön und gut, und vielleicht würde Tarantino mit so einem Schachzug durchkommen, ich sage: vielleicht. Aber auch nur, wenn er danach irgendeine blutige Kampfszene einbaut oder jemanden eingesperrt im Sarg zeigt, wie er Löcher ins Holz kratzt und unaufhaltsam auf sein Ziel im Krematoriumsofen zufährt. So. Und glauben Sie, jemand wie Tarantino braucht mich? Der ist ein Name. Da funktioniert das. Da ist die Erwartung groß genug. Seit
Pulp Fiction
kann der alles machen, jede Genrekreuzung, jedes noch so abgefuckte Spielchen mit Blut. Aber Sie kennen sich ja aus; Sie kennen mit Sicherheit auch Quentins Grenzen.»
    Mit Sicherheit kenne ich die, dachte er, schnippte die Asche ab und schob stumm das Doppelmikrofon zurecht. Der alte Mann blickte ihn scharf an und verzog dann die Lippen, als wollte er dem Interviewer sagen: «Glauben Sie ich weiß nicht, warum Sie hier sind?». Er entschied sich, Erlenberg direkt in die Augen zu sehen. Der alte Mann nickte zufrieden.
    Â«Dieser Satz: ‹Film ist Geschäft›, den haben Sie schon tausendmal
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