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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender
Autoren: Matthias Goeritz
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einfach: Sie mögen Clint Eastwood.
    Das Problem bei älteren Männern: Man kriegt sie nur selten ins Kino. Clint Eastwood spielt bei uns nicht, also ist dieser Markt abgehakt. Attacke auf alle anderen.»
    Seine Zigarre war soweit heruntergebrannt, dass er die Asche vorsichtig in dem zweitem Aschenbecher ablegte, den Ralph ihm hingestellt hatte und der, vollkommen unpassend, die Form eines Mickymaus-Gesichts hatte.
    Â«Aber zurück zu dem
Gleiwitz
-Film. Beim Titel sind wir uns noch nicht sicher.
Der Fall Gleiwitz
,
Die Gleiwitz-Papiere
, klingt entweder zu sehr nach Gerichtsdrama oder zu sehr nach Kafka. Was auch immer.»
    Der alte Mann holte Luft, so, als wollte er sich auf einen besonderen Auftritt vorbereiten. Dann verdrehte er die Augen, machte ein Gesicht wie eine Bulldogge und sprudelte, die Stimme eine Spur tiefer und überzeugend irrer, weiter.
    Â«â€¹Nur der Krieg erhebt einen in den höchsten Spannungszustand. Er prägt demjenigen sein Adelszeichen auf, der die Tugend hat, sich ihm zu stellen.› Wissen Sie, wer das gesagt hat? Mussolini hat das gesagt, 1932. Hören Sie, wie absurd das ist? Schon der Erste Weltkrieg hatte nichts mehr zu tun mit Wehrwissenschaft oder Mannbarkeitsritual, er war keine Sache von Medaillen oder Ehre, Krieg: Das war Panzer-, Gas- und Flugzeughorror. Flach und falsch, wer irgendetwas anderes behauptet. Der Krieg als Drill, als Stahlgewitter, als männliches Duell. Haben Sie mal Schrapnellwunden gesehen? Männer mit deformierten Köpfen, weggerissenen Kiefern? Das ist keine Mensur, das ist nicht sexy. Aber sehen Sie sich die Filme an, die heute noch gemacht werden, wenn es um Kriege geht. Gut gegen Böse, wie ein Florettgefecht mit Eroll Flynn. Als wären wir alle dumm. Krieg ist voll Hunger, Tod und Armut. ‹Wir müssen sie ausradieren. Vom Erdboden verschwinden lassen.› Dassind Sätze, die müssen Sie wörtlich nehmen, die fallen immer wieder. Achtlos, als wären sie nichts. Dazu muss man die Bilder finden. Das ist Kino.»
    Falsch. Das war die Wirklichkeit. Unterdessen war der blonde Hüne wieder ins Zimmer getreten, hatte den Vorhang ein wenig aufgezogen und die Balkontür auf Kipp gestellt.
    Â«Ich packe mal aus. Ich erzähle Ihnen was über den
Gleiwitz
-Film. Sie haben Glück. Ich habe einen guten Tag, da profitieren Sie nun davon. Sehen Sie, draußen: Schon wieder ein Umzugswagen. Wenn das kein Zeichen ist. In einem Drehbuch würde ich sagen: zu viel.»
    Der Interviewer rückte näher an den alten Mann heran und versuchte hinauszusehen. Dessen Augen schienen sehr scharf zu sein, jedenfalls sah der Interviewer durch den Spalt im Vorhang nur einen grellen Keil überhellen Gewimmels, durchzogen von dunklen Schemen, überhängenden Dächern, Schornsteinen, einem gleißenden Pflaster, auf dem sich gegen die Sonne kaum auszumachende Fahrzeuge und Menschen zeitlupenhaft, wie eine gerade gelandete Invasionstruppe von Aliens, bewegten.
    Â«Der Anfang ist der entscheidende Trick. Sie müssen den Zuschauer mitnehmen auf eine Reise, eine Augenreise. Mit einem ersten Bild, das sich in den Kopf einbrennt. Erinnern Sie sich an
Apocalypse Now
? Martin Sheen, wie er besoffen und verschwitzt in einem dämmrigen Zimmer in Saigon umhertorkelt, zu der Musik von den Doors? Das ganze Delirium eines Anfangs. Bei uns wird es diese erste täuschend schöne Aufnahme einer Landstraße im späten Septemberlicht sein. Blaue Stunde, silbergrau blitzendesMetall, offensichtlich ein Auto, das Flattern eines Stoffverdecks im Wind, Nebel, der sich langsam in die Felder senkt; man denkt, man fährt mit einem verliebten Paar in die Zukunft. Überscharfe Einzelheiten, ein Puzzle, das im Kopf des Betrachters entsteht, und dann brüllt jemand: ‹Absitzen.› Der Wagen entpuppt sich als Militärlaster. Sie sehen schwarzen Stoff, ein Koppelschloss. Treue und Ehre, der Totenkopf der Division, die berüchtigten Runen, die blanken Stiefel eines SS-Manns im Matsch. Sie hören das Durchladen der Maschinenpistolen. Die Idylle ist für immer zerstört.»
    Der alte Mann holte Luft. Ein Schub Energie schien ihn zu beleben, seine Augen funkelten.
    Â«Und dann Rückblende, sechs Wochen zuvor. Kamerafahrt: Eine ähnliche Landschaft, ähnliches Licht, man hört Stöhnen aus einem Hollerbusch. Wir folgen dem Puzzle in die Vergangenheit. Schuss. Das Gesicht von der Kidman – ja, wirklich
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