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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender
Autoren: Matthias Goeritz
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schrundigen Überständen. Wie handgeschöpftes Papier.
    Â«Kunst? Das ist nicht mein Job. Ich frage mich eher, was wir heute tun müssen, um einen Film unter die Leute zu bringen. Oder müssen wir uns damit abfinden, dass alle auf die Blue-Ray warten? Auf das illegale File zum Downloaden? Ja, genau, das macht uns kaputt, nicht den Film, aber die Kinos, sehen Sie? Ich bin doch ein Nostalgiker. So bin ich eben. Ich will den Kampf noch nicht aufgeben.
    Aber genau das heißt auch, dass wir heute alle laut den Ballon aufblasen müssen, bis er sich so mit Erwartung gefüllt hat, dass die kleinste Regung ihn zum Platzen bringt. Oder eben nur fast zum Platzen. Die Bombe, die explodiert, bevor das Startwochenende beginnt – ist ein Rohrkrepierer. Zeigen Sie zu früh zu viel, dann winken die Leute ab. Zeigen Sie zu wenig, weiß keiner, was läuft. Es ist die Kunst, zur richtigen Zeit die richtigen Nerven zu kitzeln, genau wie eine gute Vorspeise Lust machen sollte auf das gesamte Menü.
    Mögen Sie die Zigarre? Das sind meine Havannas für besondereGäste. Ein Freund bringt mir die immer direkt aus Kuba. Ridley Scott ist verrückt nach denen.
    Wo waren wir, Kunst? Sie können den tollsten Film der Welt an der Hand haben. Meisterwerk. Na und? Ist ja nicht so, dass das Ganze stehen bleibt wie die Sixtinische Kapelle. Und wer will Oliver Stone sehen oder Volker Schlöndorff – no offense –, aber mit diesem Autorentheater und guter Miene zum Bösen, Sie wissen, was ich meine, können Sie wirklich keinen mehr von seiner Festplatte, seinem MP4-player, seiner Heimkinoanlage weglocken.
    Wenn man es den Leuten nicht in 15-Sekunden-Spots verkaufen kann, warum sie da reinsollen, dann war’s das, schönes Wochenende. Und gerade bei einem wirklichen Krieg. Es geht hier ja nicht ums Auenland. Lohnt sich der Babysitter, Schatz? Ist das nicht zu traurig, ich brauche was Aufbauendes. Ist es für die Teens cool genug? Die Leute brauchen Argumente, um noch ins Kino zu gehen. Jedes Jahr 30 Prozent mehr Filme, aber ständiger Zuschauerschwund, wie soll das gehen? Höchstens noch eine Milliarde Leute pro Jahr, die ins Kino gehen. Aber jeder Film kostet durchschnittlich 35 Millionen. Ich kann Ihnen das vorrechnen.»
    Der Interviewer wurde unruhig, es war gerade interessant gewesen, dann schweifte dieser Kerl wieder ab. Dieses Vorgerechne, diese ganze bizarre Bilanzpolitik, die hatte ihn immer angewidert bei Filmleuten und auch bei Politikern. Als wären sie stolz darauf, so viel Geld zu verbrennen. Aber dafür hatte der alte Mann sich in Rage geredet, dieses anfängliche Zögern, das Stocken, das der Interviewer für Unsicherheit gehalten hatte, war einer sprudelnden, fast feurigen Energie gewichen, mit der ihn der Produzent wieder in seinen Bann gezogen hatte.
    Â«Entschieden wird alles bei den Testvorführungen, nicht im Schneideraum. Schnittmeister, sagte mein Vater immer, Schnittmeister, das sind die Sauerbruchs unserer Kunst, das sind die Magier, die Chirurgen, die mit dem Regisseur zusammen eine Vision entwickeln, die entscheiden, ob so ein Film lebt oder nicht. Absolut. Aber entschieden, ob er überhaupt leben darf: das wird nach den Screenings, und wenn Sie da keine Resultate kriegen, na, Mahlzeit. Nielsen-NRG-Ratings, das ist das Zauberwort, davon sind wir alle abhängig, das kann so bescheuert sein, wie es will, da wird entschieden, ob der Regisseur noch mal antanzen darf, ein anderes Ende, ein Nachdreh, die sanftere Lösung. Die Päpste des Geschmacks sind längst nicht mehr die Kritiker. Wen interessiert bei Sony oder Fox denn ein übergewichtiger 56-jähriger, wenn das Zielpublikum weibliche Teenager sind? Filme haben keine Zeit mehr, ihr Publikum zu finden, das Publikum wird identifiziert, und die Filme werden so konzipiert, dass die Kampagnen eine Chance haben in einer oder, im günstigen Fall, in mehreren der Gruppen. Das Publikum teilt man ein: Männer unter 25, ältere Männer, Frauen unter 25, ältere Frauen. Die wichtigen Gruppen sind die unter 25-Jährigen, je mehr Anteile die haben, desto höher liegt das Budget. Junge Männer mögen Explosionen, Blut, ausweglose Situationen und Sex, junge Frauen mögen Mode, Freundschaft, Romantik, junge Männer, die mit dem Herzen denken – aber keinen Sex. Ältere Frauen Wohlfühlfilme mit Liebesthema und Siegen der Menschlichkeit. Ältere Männer sind
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