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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender
Autoren: Matthias Goeritz
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gehört, vielleicht auch geschrieben. Aber wissen Sie wirklich, was da vorgeht? In diesem irren Geschäft mit den Träumen? Nein? Hören Sie zu.
    Ich liebe meinen Beruf auch deshalb, weil er mich jung hält. Manche sagen, ich hätte, was das angeht, das Gemüt einer Vierzehnjährigen. Ich bin Fan. Ich kann alles sehen.
High School Musical
, Teenager-Dramen, Fantasy. Sie lachen, ja?Aber genau das könnte das Geheimnis sein. Mein Vater war irgendwann nur noch an der Vergangenheit interessiert, hörte diese Nazi-Boygroup, die Comedian Harmonists, und schwelgte in Lale-Anderson-Songs. Mit Marlene Dietrich hatte er nichts am Hut. Die wollte keine Berlinerin werden, als man ihr die Ehrenbürgerschaft angeboten hatte: Das hat ihn gekränkt. Aber wo waren wir.»
    Der alte Mann wedelte Rauch von seinem Gesicht weg. Der Interviewer schob die halb abgebrannte Zigarette sofort in die Linke. «Soll ich sie nicht doch besser ausmachen?»
    Â«Nein, rauchen Sie weiter. Rauchen Sie sich zu Tode, haha.»
    Der Interviewer lächelte säuerlich. Der Alte schien einen merkwürdigen Humor zu haben. Auch was die Harmonists anging. «Wieso eigentlich Nazis? Die Comedian Harmonists. Waren da nicht drei Juden dabei?» Der alte Mann stutzte einen Moment, dann antwortete er.
    Â«Drei Juden, drei Arier, ja. Die ersten drei fliehen, die anderen drei haben sich arrangiert. Und Sie sollten eigentlich etwas Besseres rauchen als dieses profane Zeug. Ralph? Holst Du unserem jungen Freund eine Havanna?»
    Der blonde Hüne kam mit einem kleinen Humidor aus Wurzelholz ins Zimmer, nahm dem Interviewer die halb gerauchte Camel ab, drückte sie aus, öffnete die Kiste und ließ ihn sich eine Partagas im Torpedoformat aussuchen, die er sofort elegant anschnitt. «Feuer?», fragte er den Interviewer, der nickte und das Zigarrenende ans hingehaltene Streichholz hielt. Der Raum schien alle Zeit verlorenzu haben, eben noch, vor vielleicht 40 Minuten, als ihr Gespräch begonnen hatte, war es ein klarer, heller italienischer Morgen gewesen, und jetzt, im Dämmerlicht hinter den roten Vorhängen, erinnerte alles an die Unendlichkeit eines langsam in den Abend auslaufenden Sommernachmittags. Er nahm einen tiefen Zug; die Zigarre schmeckte vorzüglich. Seine Stimmung hob sich wieder. Gleiwitz. Mal sehen, was da kam. Der alte Mann nickte befriedigt und fuhr fort.
    Â«Film ist Krieg, verstehen Sie? Leute sterben in Filmen. Nicht in Trailern, das ist ein Fehler. Sterben darf man nur auf spezielle Art zeigen – es muss so aussehen, als ob sich alles wieder umdreht. Ein langer Film über das Sterben ist letzten Endes ein langer Film über das Leben, oder? Eben. Aufbauend. Berührend. Bewegend. Ein Drama der Menschlichkeit. So müssen Sie bei diesen Problemfilmen an die Sache rangehen. Für jedes Manöver gibt es einen Spielzug aus dem Drehbuch fürs Drehbuch, glauben Sie mir. Wenn Sie auf natürliche Weise Schrecken erzeugen wollen, weil sie glauben, allein das Leiden zu zeigen, reicht aus, wenn Sie nicht bereit sind für den Moment, in dem dieser Schrecken jemanden erlöst – dann können Sie den Film gleich vergessen.
    Wer ist denn Ihr potenzieller Kinogänger? Haben Sie sich das mal überlegt? Sobald Sie etwas Anspruchsvolleres zeigen wollen, brauchen Sie oscargekrönte Regisseure oder eben Stars. Die Besetzungsliste ist absolut entscheidend: Redford? Toller Typ, aber wollen Sie den wirklich noch halb nackt sehen, im Bett neben Angelina Jolie? Hier, nehmen sie noch einen Schluck, kommt abgefüllt in Kanistern, der Wein, von den Bauern aus der Romagna, ist gut, oder? Ich darf nicht mehr, Blutzucker.
    Wissen Sie, so viel haben wir als Einzelne ja nicht mehr zusagen. Was glauben Sie, welche Geschichten wir seit 40 Jahren in den Schubladen haben. Geben Sie mir kurz mein Messgerät? Es liegt da drüben, vor der etruskischen Plastik. Ja, danke. Was sagen Sie denn zu Fukushima? Schrecklich, dass die das in Japan jetzt durchmachen müssen, mit diesen Geigerzählern rumrennen, der unsichtbare Tod in der Luft. Ja, Wahnsinn. Aber diese Geschichte muss ich unbedingt machen.
Gleiwitz
. Ja.»
    Der alte Mann kratzte sich am Kopf. Der Interviewer sah jetzt deutlich, wie dünn die Haut über der Schädeldecke des Produzenten war, weiß und von dem plötzlichen Haarausfall angegriffen. Eine Fläche von feinen, mit Altersflecken durchzogenen Rillen und kleinen
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