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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3
Autoren: Haruki Murakami
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Kapitel 1
    Ushikawa
    Am äußeren Rand des Bewusstseins
    »Herr Ushikawa, würden Sie bitte nicht rauchen.«
    Ushikawa sah den stämmigen kleinen Mann an, der ihm an seinem Schreibtisch gegenübersaß, und blickte dann auf die noch nicht angezündete Seven Stars zwischen seinen Fingern.
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, fügte der Mann höflich hinzu.
    Ushikawa schaute verdutzt. Er schien sich zu fragen, wie die Zigarette überhaupt in seine Hand gekommen war.
    »Selbstverständlich, entschuldigen Sie«, sagte er. »Der Griff zur Zigarette ist schon beinahe ein Reflex bei mir.«
    Der stämmige kleine Mann bewegte das Kinn ruckartig etwa einen Zentimeter auf und ab, sah Ushikawa jedoch weiter gerade in die Augen. Letzterer steckte die Zigarette in die Schachtel zurück und verstaute sie in einer Schublade.
    Der mit dem Pferdeschwanz lehnte, fast ohne den Rahmen zu berühren, in der Tür und musterte Ushikawa, als sei dieser ein Fleck an der Wand. Diese Typen sind wirklich unheimlich, dachte Ushikawa. Jetzt traf er schon das dritte Mal mit den beiden zusammen, aber ganz gleich, wie oft er ihnen noch begegnen würde, beunruhigend würde es immer bleiben.
    Sie befanden sich in Ushikawas nicht allzu großem Büro.
    Der untersetzte Mann mit dem kahlgeschorenen Schädel stellte die Fragen, während der mit dem Pferdeschwanz Ushikawa die ganze Zeit stumm und reglos anstarrte wie einer von diesen steinernen Löwenhunden, die die Tore von Shinto-Schreinen bewachen.
    »Es sind jetzt drei Wochen vergangen«, sagte der Kahle.
    Ushikawa überprüfte die Notiz auf seinem Tischkalender und nickte. »Stimmt. Genau heute vor drei Wochen haben wir uns das letzte Mal gesehen.«
    »In der ganzen Zeit haben Sie uns nicht einmal Bericht erstattet. Obwohl wir uns, wie ich Ihnen bereits erklärt hatte, in einem Wettlauf gegen die Zeit befinden.«
    »Ich weiß«, sagte Ushikawa und spielte nun statt mit der Zigarette mit seinem goldenen Feuerzeug. »Wir dürfen keine Zeit vergeuden. Darüber bin ich mir durchaus im Klaren.«
    Der Kahlkopf wartete darauf, dass Ushikawa fortfuhr.
    »Aber häppchenweise Informationen zu liefern entspricht nicht meiner Arbeitsweise. Hier ein bisschen und da ein bisschen – das widerstrebt mir. Ich muss zuerst die Dinge im Zusammenhang sehen und sie auch mal von der anderen Seite betrachten, um mir ein vollständiges Bild machen zu können. Es mag selbstgefällig klingen, aber das ist eben mein persönlicher Stil. Voreilige Schlüsse bringen häufig mehr Schaden als Nutzen, Herr Onda.«
    Der mit Onda Angesprochene musterte ihn kalt. Ushikawa wusste, dass dieser Mann keinen positiven Eindruck von ihm hatte. Was ihm allerdings kaum etwas ausmachte. Solange Ushikawa denken konnte, hatte er eigentlich nie irgendwo einen guten Eindruck gemacht. Für ihn war das ein ganz alltäglicher Zustand. Weder seine Eltern noch seine Geschwister hatten viel für ihn übrig gehabt, seine Lehrer und seine Mitschüler ebenso wenig. Nicht einmal seine Frau und seine Töchter hatten ihn gemocht. Wahrscheinlich hätte es ihn sogar beunruhigt, wenn ihn plötzlich jemand sympathisch gefunden hätte. Abneigung dagegen ließ ihn völlig kalt.
    »Herr Ushikawa, wir möchten Ihren Stil nach Möglichkeit respektieren. Bisher haben wir das auch immer getan. Aber diesmal ist es etwas anderes. Wir haben leider nicht die Zeit zu warten, bis Sie alle Fakten beisammenhaben.«
    »Gewiss, Herr Onda. Andererseits drehen Sie ja auch nicht nur Däumchen und warten darauf, dass ich mich bei Ihnen melde«, sagte Ushikawa. »Bestimmt haben Sie parallel zu meinen Nachforschungen Ihre eigenen angestellt.«
    Onda gab keine Antwort. Seine Lippen blieben fest versiegelt. Auch seine Miene änderte sich nicht. Doch Ushikawa wusste, dass keine Antwort auch eine Antwort war. Die beiden hatten der Frau in den vergangenen drei Wochen auf anderem Wege nachgespürt als er. Aber sie hatten keinen Erfolg gehabt, weshalb das unheimliche Paar wieder bei ihm aufgetaucht war.
    »Eine Schlange erkennt die andere«, sagte Ushikawa mit ausgebreiteten Händen, als würde er sie in ein erfreuliches Geheimnis einweihen. »In Wahrheit bin ich eine Schlange. Vielleicht sehe ich nicht besonders gut aus, aber mein Geruchssinn ist unschlagbar. Ich bin imstande, auch die schwächste Witterung aufzunehmen und zu verfolgen. Aber wie es der Natur der Schlange entspricht, kann ich nur nach meiner Methode und in meinem Tempo arbeiten. Mir ist völlig klar, wie entscheidend der Zeitfaktor
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