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Die liebe Verwandtschaft

Die liebe Verwandtschaft

Titel: Die liebe Verwandtschaft
Autoren: Ephraim Kishon
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Verwandtschaft bereichert das Leben ungemein
    Nehmen wir den Vater meines Nachbarn Felix Selig, den alten Selig aus Riga. Eines Tages entdeckte er plötzlich auf einer Bank im Ben-Gurion-Flughafen seinen Bruder, den er seit 53 Jahren nicht gesehen hatte. Das muss man sich vorstellen: seit 53 Jahren! »Grischa!« rief er und die beiden Brüder lagen einander schluchzend in den Armen. Dann begannen sie in alten Erinnerungen zu kramen und Väterchen Selig kramte so lange, bis ihm einfiel, dass er ein Einzelkind war. Daraufhin rückte sein Bruder, immer noch unter Tränen, mit einem Geständnis heraus: Er sei in Australien geboren, gestand er und heisse Harry Nathansohn. Es war eine herzergreifende Szene. Dass zwei völlig Fremde, die einander 53 Jahre lang nicht gesehen hatten, auf solche Weise zusammentreffen würden, hätte niemand geglaubt.
    Im Grunde ist die Suche nach verlorenen Verwandten eine Suche nach den eigenen Wurzeln, wenn möglich nach wohlhabenden. Der unwiderstehliche Drang, Verwandte zu entdecken, entsteht besonders in Zeiten drohender Kriegsgefahr oder wenn die Bank einen Bürgen verlangt.
    Ich erinnere mich an die rührende Geschichte eines Neueinwanderers namens Ginsberg, der sich in der Diaspora den Ruf erworben hatte, ein Fachmann für die Reparatur schadhaft gewordener Eishockeystöcke zu sein. Als er zu uns ins Land kam und ein wenig Ruhe fand, fiel ihm auf, dass im Nahen und Mittleren Osten nur sehr geringe Nachfrage nach reparierten Eishockeystöcken herrscht. Daraufhin überkam ihn das brennende Verlangen, einen angeheirateten Cousin zweiten Grades aufzustöbern, gleichgültig, wo dieser sich befände. Ginsberg ging umher und fragte und forschte und grub nach Wurzeln und nach einiger Zeit stieß er tatsächlich auf die richtige Spur. Sie führte ihn nach Paris, wo er den lang entbehrten und weit entfernten Vetter sofort aufsuchte. Als er ihm, von Rührung übermannt, um den Hals fallen wollte, warf ihn der Baron Rothschild eigenhändig hinaus. Moral: Arme Verwandte haben ein besseres Gedächtnis als reiche.
    Ich für meine Person finde entfernte Verwandte sehr anregend. Es ist von unvergleichlichem Reiz, wenn plötzlich jemand vor deiner Tür steht und dir ohne Übergang mitteilt: »Ich bin Sándor, der jüngste Sohn von Ottilie, die einen Neffen des seligen Emanuel Schmulewitz geheiratet hat.« Dein Herz beginnt wild zu schlagen, dein Hirn beginnt fieberhaft zu arbeiten: Wo hat dieser Sándor die ganze Zeit gesteckt? Wer hat ihn geschickt? Und vor allem: Wer ist Emanuel Schmuelwitz?
    Einen andern, weniger rätselhaften Typ von Verwandtschaft repräsentiert meine Tante Ilka, die irgendwann in unsre Familie eingeheiratet hat, aber es ist nicht ganz klar, ob das auf der väterlichen oder auf der mütterlichen Seite geschah. Jedenfalls fragt mich meine Mutter zweimal im Jahr, ob ich Ilka besucht hätte, und ich antworte zweimal im Jahr: »Nein, noch nicht, aber demnächst besuche ich sie ganz bestimmt.«
    Dabei habe ich gegen Tante Ilka als solche nichts einzuwenden, außer dass sie in einer schwer erreichbaren Vorstadt von Jaffa wohnt und eine alte Hexe von 89 Jahren ist. Überdies nörgelt sie ständig an mir herum. Immer, wenn ich sie besuche, und das ist wirklich selten genug, empfängt sie mich mit den Worten: »Höchste Zeit, dass du dich einmal an deine alte Tante erinnerst!«
    »Ich habe schrecklich viel zu tun«, pflege ich zu erwidern. »Aber jetzt bin ich hier, Tante Ilka. Wie geht es dir?«
    Statt einer Auskunft bekomme ich den Auftrag, wieder hinauszugehen und mir draußen gründlich die Schuhe zu reinigen. Wegen der Fliesen. Tante Ilka leidet an einer seltenen, wenn auch keineswegs lebensgefährlichen Krankheit, der sogenannten Fliesomanie. Ein sauberer Fussboden geht ihr über alles. Die Fliesen in ihrer Wohnung sehen aus, als wären sie mit der Zahnbürste geputzt worden. Man hat Angst, sie mit den Füßen zu berühren. Am liebsten würde man über sie hinwegschweben. Tante Ilka kennt jede einzelne ihrer Fliesen persönlich und benennt sie nach dem Schachbrett-System. »Auf E 4 ist ein Schmutzfleck«, sagt sie.
    Nach einer Weile verlassen wir das Thema »Fliesen« und wenden uns dem Thema »Katzen« zu. Sofort beginnen Tantchens Augen feucht zu schimmern und ihre Stimme senkt sich zu melancholischem Flüstern. »Bianca … meine süße Bianca …« Bianca war ihre Lieblingskatze, sie starb in sagenhaft hohem Alter um 1950. Ich habe sie nicht gekannt, weil ich damals noch auswärts
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