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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender
Autoren: Matthias Goeritz
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Mann ihm etwas am Abendbrottisch sagte.
    Â«Ich kriege Sie wohl nie ohne dieses Gerät zu sehen, was? Es ist, als säße immer ein Dritter bei uns am Tisch, irgendjemand, hinter dem Sie sich verstecken. Die Nachwelt, irgendein Mensch, dem Sie es vorspielen, oder sind Sie es nur selbst, spielen Sie sich unsere Gespräche vor? Was denken Sie dann? Das möchte ich zu gerne wissen.»
    War das Zufall? Oder hatte er sich genau an jene Stelle in ihren Gesprächen erinnert und war deshalb heute Abend mit dieser Aufnahme in die Nacht gegangen. Er hielt den Track an, holte sich noch einen Kaffee aus der Küche und ließ die Aufnahme weiterlaufen.
    Â«Heutzutage ist ja jeder Experte, wenn er nur zehn Filme gesehen hat. Und verkündet seine Meinung auch laut. Lauter Minikritiker. Als Produzent müssen Sie das frühzeitig steuern, das sind schließlich Fans, das ist unser Publikum.Einen Film wie
Gleiwitz
zu machen, das ist eine wahre Herausforderung! Da können sie sich nicht hinter irgendwelchen Problemen verschanzen. Wir müssen den Film machen, sonst geht die Erinnerung verloren. Die Leute wissen doch gar nicht mehr, was damals passiert ist. Wenn Sie
Gleiwitz
sagen, einfach nur das Wort, was meinen Sie, wer Ihnen da noch die wahre Geschichte erzählt? Die sehen irgendwen vor sich, Hitler, und halten das sofort für eine von Guido Knopps Pseudodokumentationen, werden irgendwas murmeln vom Überfall auf Polen, ein paar wissen vielleicht, dass sich die Geschichte um einen Sender dreht, um einen Akt der Lüge, der Kriegsgrundbeschaffung, aber das sind dann auch schon die Intelligenten. Höchstens drei Prozent!
    Die Bilder, die kommen, sind anders. Die Leute erwarten doch immer das Gleiche, wenn Sie einen Film über den Zweiten Weltkrieg sehen: das Dritte Reich – in Farbe –, in der Hauptrolle Churchill, Stalin, Marlene Dietrich, Reinhardt Heydrich, Rommel, Alfred Jodl. Die großen Hitlerhunde und die Hitlerhasser. Aber alles dreht sich letztendlich doch um den Führer, das unantastbare Zentrum des Bösen. Bis heute machen wir ihn zu einem Sexsymbol, zu einem unantastbaren, fast heiligen Geheimnis. Finden Sie das gut? Bruno Ganz im
Untergang
, wenn er seine hysterischen Anfälle hat, wenn die rührende kleine Sekretärinnenperspektive auf die subterrane Welt der Reichskanzlei gelegt wird, eine Perspektive, die die Fickorgie vor dem Untergang nur noch wie eine Gangbangparty inszeniert, die man sich ja heute irgendwo aus dem Internet runterlädt, Party in Uniform, Heidewitzka, hier kommt der Kamerad, Kindervergiftung, Frau Goebbels, als kleine Schlafbeigabe, und dann bleibt die Kamera vor dem Führerzimmer stehen, als handelte es sich um ein Tabernakel oder die Ikonostase des Dritten Reichs, und Hitler wird nicht gezeigt, wie er sich die Kugel gibt, mit der er, Schuss eins, erst seineEva ins runenbesetzte Naziparadies schickt, dann mit Schuss zwei seinen Scheißschädel aufplatzen lässt und sein krankes Gehirn endlich freigelegt wird, genauso ein unscheinbar gräuliches Zeug, wie das von jedem von uns. Massenmörder. Jaja, heiliger Hitler. Und all die Fernsehdokus und selbst die Historiker mit ihren Büchern mystifizieren ihn weiter, denken sie doch allein an die Titel:
Hitlers Gott
,
Hitlers Geld
,
Hitlers Helfer
… Popkulturmessianismus! Heil und Unheil. Damit glorifiziert man doch bloß! Der Kitzel im Bauch, weil man das Ungeheuer zu verstehen glaubt.
    Und natürlich bin ich eifersüchtig auf Eichinger, wir waren ja auch an dem Projekt dran, aber dann hat er uns ausgestochen und mit ihm, Gott hab ihn selig, konnte ich einfach nicht. Jetzt ist das einfacher. Konkurrenten respektiert man, aber wenn sie aus dem Weg sind – fehlen sie einem auch nicht.
    Jedenfalls: Geschichte verfilmen, das müssen wir mit
Gleiwitz
besser machen, das können wir besser! Das wird echter, ehrlicher.
    In
Gleiwitz
geht es doch um die Essenz unserer Kunst: um Gewalt und Lüge. Und was für Parallelen es gibt. Irak 2003: Saddam baut Massenvernichtungswaffen. Da haben sie eine Reporterin der New York Times manipuliert, sie so mit Informationen gefüttert, mit Bildern über angebliche Transporte von Raketenteilen, Giftgasanlagen und waffenfähigem Plutonium aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, bis nicht nur der von Fox gebildete Teil der Welt geglaubt hat, dass da was dran wäre, sondern die Politiker selbst. ‹Koalition der Willigen›, so
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