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Totentaenze

Totentaenze

Titel: Totentaenze
Autoren: Beatrix Gurian , Krystyna Kuhn , Manuela Martini , Susanne Mischke
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richtig – nicht nur ein bisschen ritzen … Vielleicht wäre das das Beste.
    Zu kapieren, dass Mami tot war, das war echt hart gewesen und war es immer noch. Aber ich war vor allem wütend auf sie, habe sie gehasst. Ein bisschen wenigstens. Ich kam mir betrogen vor. Warum hatte sie verschwiegen, wie krank sie war? Es nie ausgesprochen. Immer nur behauptet, sie sei einfach müde. Und sie hatte gelogen, was meinen Vater betraf. Er hatte ganz in meiner Nähe gelebt, doch sie hatte ihm nichts von mir erzählt und mir nichts von ihm. Ich hatte einen Bruder, eine Schwester. Das konnte und wollte ich ihr nicht verzeihen. In mir war so viel Wut.
    Aber andererseits waren da diese Schuldgefühle, die an mir nagten. Hatte ich wirklich nicht geahnt, wie schlecht es ihr ging? Sie magerte immer mehr ab, musste sich nach der Chemo ständig übergeben, ihr Gesicht wirkte grau und müde. Und ich schaute weg, tat so, als würde ich es nicht bemerken. Na ja, die Wahrheit war, ich hatte sie im Stich gelassen.
    Von der Klassenfahrt aus hatte ich zu Hause angerufen, doch sie hatte nicht abgenommen. Seltsam, hatte ich gedacht, aber vielleicht war sie nur einkaufen. Einkaufen? Wo sie zum Schluss kaum noch alleine gehen konnte? Im Prinzip war ich einfach nur verdammt erleichtert gewesen, dass sie nicht da war. Weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Denn sie war allein zu Hause, während ich nur an die Schmetterlinge in meinem Bauch dachte.
    Ich wusste, wenn ich jetzt mit dem Messer zustach, würde ich mich besser fühlen. Ich würde mich nicht länger schuldig fühlen.
    In diesem Moment rief Laura: »Mach das nicht, Lena. Bitte! Du musst mir glauben, ich wollte das nicht!«
    Es waren die Schritte unten im Flur, die mich zögern ließen. Als ob ich aufwachte. Erst war es nur der Wind, dann hörte ich jemanden fluchen: »Verdammt, was ist denn hier los? Warum steht die Haustür offen und wie sieht es hier überhaupt aus?«
    Jo war zurück. Gott sei Dank!
    Dann eine andere Stimme, die besorgt klang: »Lena?«
    Ich erstarrte.
    Die Stimme … Das war doch nicht möglich!
    »Wer ist das?«, fragte Laura verwundert.
    »Lena, wo bist du? Geht es dir gut?«
    Ich ließ das Messer fallen, rannte aus dem Zimmer, die Treppe hinunter, durch den Flur und landete direkt in seinen Armen.
    Arme, in denen ich mich sicher fühlte.
    Kim.
    Er hielt mich fest. Er küsste mich. Nichts anderes mehr zählte. Sein Körper vertraut nahe an meinem … Alles andere verschwand ganz einfach ins Nirgendwo. Alles war gut.
    Seine Arme waren der Ort, wo ich sein wollte.
    »Was machst du hier?«
    »Na ja, ich hatte das Gefühl, du solltest nicht alleine sein, wenn du Stimmen hörst, außerdem wird es Zeit, dass ich mir meine Lederjacke hole.«
    »Aber wie bist du so schnell … Und warum warst du vorhin am Telefon so komisch?«
    Er wandte sich um und deutete hinter sich.
    Jo stand in der Tür: »Trick or treat – ich habe mich für treat entschieden. Du hast vorhin echt gewirkt, als ob du durch den Wind bist, und dann hat Kim mich angerufen …«
    »Kim hat dich angerufen?«
    »Na, die Überraschung ist uns gelungen, was?« Kim lachte.
    Jo stimmte ein und erklärte. »Wir haben uns kennengelernt, als wir eure Wohnung ausgeräumt haben. Ich musste ihm versprechen, dass ich ihn abhole, sobald du dich hier ins gemachte Nest …« Von einer Sekunde zur anderen brach er ab und starrte an mir vorbei.
    Ich wandte mich um. Oben an der Treppe stand Laura.
    »Laura? Wieso bist du schon wieder zu Hause? Ist die Party schon vorbei?«
    Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie schluchzte. »Ich wollte das nicht, ehrlich, ich wollte es nicht.«
    »Was denn? Hat es keinen Spaß gemacht?«, fragte Jo.
    »Nein, es hat keinen Spaß gemacht.«
    »Warum denn nicht?«
    Laura starrte mich jetzt an, ihre Augen baten mich, sie zu verstehen. Ihre Lippen bewegten sich nicht, aber ich wusste, was sie mir mitteilen wollte.
    Sag nichts. Bitte sag nichts.
    Was du gemacht hast, war gemein und gefühllos, gab ich stumm zurück.
    Es tut mir leid.
    Für die beiden anderen mochte es aussehen, als ob wir uns nur ansahen, aber wir beide sprachen ohne Worte miteinander.
    Du hast mich zu Tode erschreckt.
    Bitte verrate mich nicht. Ich bin doch deine Schwester.
    Fabienne tauchte auf. Sie hatte ihren Mantel übergezogen und ging an Laura vorbei die Treppe hinunter.
    »Was machst du denn hier?«, hörte ich Jo verwundert fragen.
    »Hab nur Laura nach Hause begleitet – und außerdem wollte ich unbedingt ihre neue
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