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Totentaenze

Totentaenze

Titel: Totentaenze
Autoren: Beatrix Gurian , Krystyna Kuhn , Manuela Martini , Susanne Mischke
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Manuela Martini: Der Tod ist unter uns
    An jenem Morgen hatte ich Levke mit meinem Handy fotografiert. Wenn ich gewusst hätte, was passieren würde, hätte ich es vielleicht nicht getan. Naturvölker wollten nie, dass man sie fotografiert, weil sie glaubten, dass man dem Abgelichteten damit seine Seele raubt und er bald sterben wird.
    Warum behaupten wir immer, dass das Unsinn ist?
    Bis zum frühen Abend vor zwei Tagen verlief alles wie für unsere Studienfahrt nach Rom geplant – glaubten wir, die einunddreißig, nein nur dreißig Schülerinnen und Schüler der elften Jahrgangsstufe des Hildegard-Gymnasiums Ingelheim.
    Die Sonne schien vom strahlend blauen Himmel, ich erinnere mich genau; den Innenhof des Klosters erfüllte ein süßer Blütenduft; der Brunnen in der Mitte plätscherte munter – wie es in einem Gedicht heißen würde – und Levke und ich hockten auf der Stufe unter dem Säulenumgang, genossen die frühsommerliche, südliche Wärme und tunkten italienisches Weißbrot in unseren Caffè Latte. Levke trug ihr gelbes Top, obwohl Herr Rentsch, unser Klassenlehrer, ausdrücklich Schulterbedeckendes angeordnet hatte. Das war das Nervtötende an diesen Kirchenbesichtigungen: die altmodische, frauenfeindliche Kleiderordnung.
    Am Ende würde Levke, wie schon am Tag zuvor, die Stola von Frau Dr. Bart-Keferlein umhängen müssen, damit sie in die Kirche durfte, dachte ich. Levke musste immer was Besonderes sein. Sie brauchte Bewunderer, musste die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das hing wahrscheinlich damit zusammen, dass sie zu Hause die Jüngste von drei Mädchen war. Auch ich bewunderte sie, wegen ihres Aussehens, wegen ihres souveränen Umgangs mit Jungs, die sie abblitzen und antanzen ließ, wie es ihr gerade passte – und wegen ihrer rebellischen Art. Sie scherte sich kaum um gute Noten, im Gegensatz zu mir. Ich habe immer das Gefühl, nur geliebt und beachtet zu werden, wenn ich gute Zensuren habe.
    Für den Vormittag standen die Katakomben an der Via Appia Antica auf dem Programm, ein Höhepunkt unserer Besichtigungen.
    »Voll cool, endlich mal was Gruseliges«, meinte Levke beim Caffè Latte, verdrehte die Augen und leckte sich die Milch von den Lippen. Sie hatte leichtes Lipgloss aufgelegt und die Wimpern getuscht, ihr schulterlanges blondes Haar floss wie Wasser makellos glatt vom Scheitel herunter. Ich fragte mich in diesem Augenblick erneut, wie sie es schaffte, immer so perfekt auszusehen.
    »Gruselig?« Ich zuckte die Schultern, schob mir die Brille hoch und blies mir die widerspenstigen dunklen Locken aus der Stirn. »Das sind die unterirdischen Gräber der Christen, als das Christentum verboten war. Mehr nicht.«
    »Ja und sie hielten da heimlich ihre Gottesdienste ab«, schaltete sich Sebastian in unser Gespräch ein, woraufhin Levke erneut die Augen verdrehte. »Und in den Kallixtus-Katakomben haben sie die heilige Cäcilie bestattet. Angeblich hat man drei Mal versucht, sie zu enthaupten – sie hat es immer überlebt. Cool, oder?« Er zuckte krampfartig mit dem Kopf und grinste dann.
    Sebastian ist ein bisschen kleiner als ich und viel kleiner als Levke, die aus diesem Grund besonders gerne auf ihn herunterschaut. Seine Haut ist ungewöhnlich glatt und eher blass, was sein gekräuseltes Haar, das meist unter einer olivgrünen Che-Guevara-Kappe hervorsieht, noch dunkler wirken lässt. Er ist ein weißer Schwarzer, meinte Levke einmal kopfschüttelnd. »Ach Basti, du bist so klug!«
    Basti wurde rot. Levke wusste genau, wie sie das anstellen musste. Sie brauchte ihn bloß Basti zu nennen und ihn direkt anzusehen. Sebastian ist tatsächlich einer der klügeren Jungs in unserer Stufe. Außerdem interessiert er sich nicht nur für Computer und Computerspiele, wie die meisten seiner männlichen Artgenossen, sondern mit ihm kann man sogar über Probleme reden. Er ist ein guter Zuhörer und hilft nicht selten mit einem Vorschlag weiter. Ich mochte ihn eigentlich und deshalb tat er mir in dem Moment leid. Außerdem war es kaum zu übersehen, dass er Levke echt toll fand – und da passierte es:
    »Warum bist du immer so gemein zu ihm?«, fragte ich.
    »Warum?« Sie zuckte die Schultern und sah mich mit unschuldigen Rehaugen an; ein Blick, den ich überhaupt nicht an ihr mochte. »Wieso soll ich nett sein, wenn ich keine Lust dazu habe?«
    »Du bist echt ’ne arrogante Ziege!«
    »Na und … und du, du bist ein kleiner Arschkriecher!«, zischte sie zurück und zog die Oberlippe hoch, sodass
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