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Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Andreas Föhr
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mit Wallner auf die Schule gegangen war und hier bei seinen Bergwachtkameraden gesessen hatte, als sie hereingekommen waren, und ein »He Clemens, oide Fischhaut! Hock di hera!« gegrölt hatte. Da war Günthers Stimme schon recht ramponiert gewesen, und die Backen hatten ihm geglüht. Jetzt, eine Stunde später, brachte er keinen Ton mehr heraus und konzentrierte sich auf das, weswegen sie hergekommen waren: Alkohol trinken. Einer hatte eine Gitarre dabei, und es wurden alte Fahrtenlieder gesungen, in denen man im Mehltau zu Berge zog (wer Frühtau sang, musste einen Obstler trinken) oder Wildgänse durch die Nacht rauschten. Das Witzerepertoire war gediegen und überschaubar. So wurde etwa die Erweiterung des bekannten Gedichts vom Emir und dem Scheich um die Zeilen »Da sprach der Abdul Hamid, ’s Tischtuch nehma a mit« mehrfach bemüht, was dem Erfolg der Darbietung aber keinen Abbruch tat. Ein blonder, äußerlich an Rudi Völler erinnernder Kamerad mit Schnauzer lachte sich gerade das dritte Mal unter den Tisch. Dann stießen wieder alle miteinander an, und Claudia rief am lautesten Prost und dass sie die Bergwachtjungs super fände, was allgemein goutiert wurde und Claudia die vielfach geäußerte Versicherung eintrug, ein super Hase zu sein, und dann wurde Claudias Heimat zu Ehren (eigentlich kam sie aus Bad Homburg, doch das war bei dem Lärm falsch verstanden worden) das Lied vom Hamborger Veermaster angestimmt, und bei to my hoo day, hoo day mussten alle zwei Mal aufstehen und ihre Bierkrüge aneinanderstoßen.
    Nachdem Wallner das dritte Mal mit Bier bespritzt wurde, weil er sitzen geblieben war, verließ er den Tisch und sah sich das närrische Treiben vom Tresen aus an. Er war dreiundzwanzig Jahre alt, groß, schlank, trug Brille und kurzes, dunkles Haar und hatte eine Daunenjacke an, die er als Zugeständnis an die schwüle Hitze im Raum offen trug. Wallner war fast immer kalt. Er trug seine Daunenjacke von September bis in den Mai hinein, dazu dicke Wollschals, damit es nicht von oben hineinzog in die Daunen.
    Wallner ließ die Wirtshausszenerie auf sich wirken. Um nichts auf der Welt hätte er aus eigenem Antrieb dieses Irrenhaus aufgesucht. Der Grund, warum er es dennoch getan hatte, war Claudia, die Tochter von Erich Lukas, dem Leiter der Kriminalpolizei Miesbach. Claudia war dreiunddreißig und Staatsanwältin am Landgericht München II und in dieser Eigenschaft seit neuestem auch für den Landkreis Miesbach zuständig. Erich Lukas hatte Wallner gebeten, Claudia durchs Haus zu führen. Dabei waren sie Kreuthner begegnet, dem Claudia gefiel. Und der hatte gesagt, sie müssten heute unbedingt aufs Hirschberghaus kommen. Dort finde die Party des Jahres statt. Das dürfe Claudia unmöglich versäumen. Claudia versäumte – im Gegensatz zu Wallner – ungern Partys. Vor allem keine Party-des-Jahres-Partys. Der exotische Reiz der Veranstaltung lag auch darin, dass man eineinhalb Stunden zu Fuß gehen musste, um an den Ort der Festlichkeit zu gelangen. Wallner fühlte sich irgendwie verpflichtet, sich um Claudia zu kümmern, und versprach mitzukommen.
    Auf dem Hirschberghaus fanden sie über fünfzig trinkfeste, zumeist, aber nicht ausschließlich männliche Gäste vor, viele davon Mitglieder der Bergwacht oder des Alpenvereins. Das »Austrinken« war nicht offiziell annonciert worden, eher ein Tipp für Eingeweihte.
    Neben Wallner klingelte ein Telefon. Das Hirschberghaus verfügte über einen Festnetzanschluss. Der Wirt spülte gerade Gläser und bat Wallner, den Anruf anzunehmen. »Hirschberghaus, wir haben heute eigentlich geschlossen«, meldete sich Wallner.
    »Clemens? Bist du des?«, sagte Kreuthners Stimme aus dem Hörer.
    »Wo steckst du denn? Wir warten auf dich!«
    »Is a längere G’schicht. Is der Sennleitner zufällig da?«
    Wallner blickte sich im Raum um. Es gab noch fünf weitere Tische neben dem, an dem Claudia saß. Die anderen Tische hatten in den Shanty eingestimmt und sich den Brauch zu eigen gemacht, bei to my hoo day aufzustehen und anzustoßen. Sennleitner, wie er allgemein und unvermeidlich ohne Vornamen genannt wurde, stand mit puterrotem Kopf und Maßkrug auf einer Bank und grölte weit neben der Melodie, aber lautstark den Refrain. »Ja, der steht auf der Bank und singt Shantys.«
    »Die Sau!«
    »Was ist los? Und wieso bist du noch nicht da?«
    »Der Sennleitner ist echt bei euch auf der Hütte?« Kreuthners Stimme bebte vor Zorn.
    »Ja. Kommst jetzt endlich?«
    »Bin
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