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Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Andreas Föhr
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Talstation einer kleinen Materialseilbahn, deren Benutzung, wie der Name nahelegte, für den Personentransport strengstens verboten war. Kreuthner hievte Nissl in den Transportbehälter und warf ihm die Krücke hinterher. Dann setzte er sich selbst dazu. Es war ziemlich eng, aber es ging. Den Schlüssel zur Seilbahn hatte Kreuthner vor zwei Jahren bekommen, als er bei der Vorbereitung des jährlichen Berggottesdienstes auf dem Hirschberg mithalf. Da mussten Tausende Gläubige verköstigt werden. Vor der Rückgabe hatte er sich einen Nachschlüssel machen lassen, in der Vorahnung, der könne ihm mal gute Dienste leisten.
    Still schwebten sie durch die Nacht, über sich den Sternenhimmel, unten die Lichter um den Tegernsee. Ein warmer Wind kam von Süden, und die Gondel schwankte sanft über dem Abgrund. Kurz bevor das Hirschberghaus hinter der Bergkuppe auftauchte, hörten sie es: diffuse Stimmen, gedämpft, singend, eine Gitarre dazwischen, dann eine vielstimmige Melodie. Aus der Ferne klang das viel sauberer und schöner, als wenn man jetzt da oben in der Gaststube mittendrin säße, musste Kreuthner denken.
    »Die Luft filtert alles Hässliche raus«, sagte Nissl, als habe er Kreuthners Gedanken gelesen.
    »Ja«, sagte Kreuthner. »Aber ich hab mich immer gefragt, wieso.«
    »Weil die Luft rein ist. Deswegen bleibt der Schmutz drin hängen.« Nissl nickte, zufrieden, dass er Kreuthner was hatte erklären können, und deutete mit der Krücke nach oben. »Die Luft ist so rein, dass du die Sterne siehst. Die sind Milliarden Lichtjahre weg. Aber du siehst sie trotzdem. So sauber ist die Luft.«
    »Nicht in München.«
    »Das stimmt. Wegen dem vielen Lärm.«
    Dem war nichts hinzuzufügen. Den Rest der Fahrt ließen sie sich die laue Brise um die Ohren wehen und hingen ihren eigenen Gedanken nach.

5
    D er Feuerschein flackerte über das lange Gesicht. Nissl nahm einen Schluck Bier und spürte dem Geschmack nach, als sei es feiner Bordeaux, sein enormes Kinn kreiste, der Mund öffnete sich ein wenig und entließ ein dezentes Schmatzen. Ein Holzfeuer brannte in einer Zinnwanne. Darum herum Nissl, Wallner und Claudia. Sie saßen auf der Terrasse des Hirschberghauses und lauschten dem Lärm aus der Gaststube. Man hörte einen Teil der Gäste singen, den anderen lautstark diskutieren. Zwischendurch immer wieder Kreuthners Stimme, alkoholselig und phasenweise euphorisch. Bei der Ankunft hatte er seinen Kollegen Sennleitner zusammengeschissen, weil der ihm fast den Abend vermasselt hätte. Der war reumütig und schwor, er habe nicht geahnt, dass es ausgerechnet Kreuthner treffen würde, ihn zu ersetzen. Aber was hätte er machen sollen? Der Dienststellenleiter wollte ihm an dem Abend nicht freigeben.
    Kreuthner musste zugeben, dass er es, wenn man’s genau besah und ehrlich war, nicht anders gehalten hätte. Natürlich nicht. Wie auch? Was soll man machen, wenn einem das Schicksal so hinterkünftig mitspielte. Jetzt war alles im Lot, und Kreuthner und Sennleitner leerten zusammen Bierkrug um Bierkrug, und manchmal sangen sie die Bergkameraden mit und mehrfach das Lied, in dem jemand seine Alte in einer Gletscherspalte findet und sich beides wunderbar reimt, und bei sie hielt den Pickel in der Hand schwenkte Sennleitner jedes Mal den alten Eispickel, der seinen Platz eigentlich an der Wand der Gaststube hatte, und es war abzusehen, dass irgendwann jemand dadurch zu Schaden kommen würde, wenn Sennleitner nicht aufhörte zu trinken, womit keinesfalls zu rechnen war.

    »Wie lange hast du schon keine Wohnung mehr?«, fragte Claudia und betrachtete den sanften Riesen mit dem großen Kinn. Ein Geheimnis umgab ihn. Vielleicht viele Geheimnisse. Nie hatte Claudia einen Menschen wie Nissl getroffen, einen der vollkommen frei war von irdischem Besitz und anscheinend auch von Begierden, wenn man vom Alkohol absah. Er hatte auf das Du bestanden, weil jeder ihn duzte. Es war Claudia schwergefallen. Denn Nissl war dreißig Jahre älter und trotz seines heruntergekommenen Äußeren eine Erscheinung, die den Menschen Ehrfurcht einflößte.
    »Seit zweiundsiebzig. Da haben sie mir mein letztes Haus gepfändet.«
    »Du hast Häuser gehabt?«
    »Ja freilich. In Miesbach haben mir viele Häuser gehört.«
    Claudia staunte und blickte zu Wallner. Dessen Miene gab ihr zu verstehen, dass sie nicht alles für bare Münze nehmen sollte, was Nissl erzählte. »Was ist mit den Häusern passiert?«
    »Die hab ich alle verloren. Eins nach dem anderen.
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