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Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Andreas Föhr
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nicht umbringen.
    Der Tag war sonnig und kalt, in der Nacht hatte es geschneit. Ein evangelischer Pfarrer sprach einige angemessene Worte über den Verstorbenen, und Claudia wirkte gefasst, bis zu dem Moment, als sie eine Rose ins Grab warf. Simone musste die Hand ihrer Mutter halten, bis alles vorbei war.
    Wallner hatte lange darüber nachgedacht, wann der richtige Moment wäre, um Claudia die ganze Wahrheit zu sagen. Er war das Warten leid. Gegen Ende des Leichenschmauses nahm er sie zur Seite, und sie setzten sich in ein leeres Nebenzimmer des Lokals.
    »Es tut mir leid, dass ich mich die letzten Tage nicht um dich gekümmert habe«, begann Claudia das Gespräch. Sie sah in dem schwarzen Kleid und mit den schwarzen Haaren aus wie die schöne Witwe eines Mafiaopfers in Sizilien. Der Gipsarm suggerierte überdies, dass sie den Anschlag auf wundersame Weise überlebt hatte. Auch heute war Claudia stark geschminkt, als Lippenstiftfarbe hatte sie Drachenblut gewählt. Es passte zu ihrer ungewöhnlichen Blässe.
    »Das ist in Ordnung«, sagte Wallner. »Du hast weiß Gott anderes zu tun gehabt. Das ist auch nicht der Grund, weshalb ich mit dir reden will. Ich bin dir eine Erklärung schuldig.«
    »Wofür?«
    »Für den Tod deines Vaters.« Er gab ihr den Brief, den Lukas ihm hinterlassen hatte. Sie las die Worte, die ihr Vater an Wallner gerichtet hatte, dann noch einmal und schließlich ein drittes Mal.
    »Was hat das zu bedeuten?«
    Wallner sagte es ihr.

    Sie gingen ein Stück in der kalten Sonne vor dem Gasthof, und Wallner reichte Claudia ein Papiertaschentuch. Nachdem sie die Tränen getrocknet und die Nase geputzt hatte, sagte er: »Er war ein Kind, als er es getan hat. Und ich bin mir sicher, du wirst ihn deswegen nicht weniger lieben.«
    »Nein. Natürlich nicht.« Sie nahm Wallners Hand und sah ihm in die Augen. »Was ist mit Kieling? Wird der Tod meines Vaters einen Sinn haben?«
    »Ich bin, wie ich bin«, sagte Wallner.
    »Ich weiß.« Claudia drückte Wallners Hand und biss sich auf die Unterlippe. Dann holte sie tief Luft und ging zurück in den Gasthof.

71
    A m darauffolgenden Montag wurde Albert Kieling aus der Untersuchungshaft entlassen. Vor der JVA Stadelheim warteten seine Frau und sein Sohn auf ihn. Der Tag war grau, feucht und kalt. Aber Kieling sah in den Himmel, als scheine dort die Frühlingssonne.
    »Grüß Gott, Herr Kieling«, sagte Wallner, der sich unerwartet zu dieser Familienzusammenkunft einfand.
    »Grüß Gott, Herr Wallner.« Kieling machte die Anwesenden miteinander bekannt. »Herrn Wallners Courage habe ich es zu verdanken, dass ich wieder ein freier Mann bin. Ganz herzlichen Dank noch mal. Vielleicht möchten Sie uns einmal besuchen. Meine Frau backt Zimtsterne, so was haben Sie noch nicht gegessen.«
    »Sehr freundlich. Aber ich fürchte, daraus wird nichts werden. Darf ich Ihren Mann noch einmal entführen?«
    Sie begaben sich außer Hörweite, und Wallner zog ein Foto aus seiner Daunenjacke.
    Es zeigte Frieda Jonas im Sommer 1939 mit Ägidius Haltmayer und Albert Kieling vor dem Bauernhof. Es war das Foto, das Wallner von Friedas Bruder Dietmar in der Schweiz bekommen hatte. »Kennen Sie das Bild?«
    Kieling betrachtete das Foto, und seine Gesichtszüge wurden milder.
    »Das ist Frieda Jonas?« Wallner deutete auf das Mädchen. Kieling nickte. »Und das sind Sie als junger Bursche?«
    »Ja«, sagte Kieling und wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Ich habe das Bild nie gesehen. Kann ich einen Abzug haben?«
    »Mal sehen, was sich machen lässt.«
    »Danke. Und kommen Sie uns mal besuchen. Es war ernst gemeint. Ich muss zu meiner Familie.«
    »Warten Sie, Herr Kieling. Ich fürchte, Ihre Familie wird ohne Sie zurückfahren.«
    Kieling sah Wallner verständnislos an. Der zog ein Dokument aus seiner Jacke und gab es Kieling, der es überflog. Es war ein Haftbefehl. »Wer bitte ist Sarah Jarowicz?«
    »Vermutlich war sie der letzte Mensch, den Sie umgebracht haben. In Finsterwald bei Gmund. Zweiter Mai 1945.«
    »Tut mir leid. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
    »Ich erklär’s Ihnen: Sie wollten sich damals gerade mit Kurt Lohmeier auf die Suche nach der geflüchteten Frieda Jonas machen, als eine Frau unter den Häftlingen Ihre Aufmerksamkeit erregte. Es war Greta Jarowicz, die Mutter des Opfers. Sie befahlen Mutter und Tochter, Sie hinter eine Scheune zu begleiten. Dort schossen Sie zuerst der Mutter in die Brust, dann der Tochter in den Kopf.«
    »Wer behauptet
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