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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg
Autoren: Kirsten Fuchs
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eins
    Dies ist keine Leidensgeschichte. Meine Geschichte ist keine Leidensgeschichte, nur meine. Ich mache mir einen schönen Tag nach dem anderen. Ich mache was aus Zutaten, die alle einzeln gut schmecken und zusammen auch. Das ergibt Essen. Ich mache mir eine Freude. Ich mache es mir mit der Hand und zünde vorher eine Kerze an. Frauen, die Dildos benutzen, verstehe ich nicht. Frauen, die Mohrrüben benutzen, verstehe ich nicht. Frauen, die Kerzen benutzen, aber sich dabei keine Kerze anzünden, verstehe ich einfach nicht. Bald ist Weihnachten, das passt doch. Ich würde es mir auch mit einer angezündeten Kerze machen. Das Ende mit dem brennenden Docht würde ich draußen lassen. Das könnte doch hübsch aussehen. Das könnte aber auch die Schamhaare anzünden. Die angeschmorten Locken. Ich habs schon probiert, einmal. Es hat nicht gut gerochen, überhaupt nicht. Ich mache es mir mit der Hand, mit beiden Händen. Ich weiß was mit meinen beiden Händen anzufangen. Sicherlich hätte ich Goldschmiedin werden können. Oder Zahnärztin. Alles eigentlich. Eigentlich alles.
    Weil ich nicht rauche, esse ich danach Schokolade. Ich lege mich aufs Bett und warte darauf, dass ich wieder Lust habe. Dann fange ich von vorne an, dann esse ich Schokolade, dann gehe ich mir die Zähne putzen und puste die Kerze aus. Ich mag saubere Zähne, saubere Zähne sind das A und O.

    Ich habe am häufigsten in meinem Leben das Wort «ich» gesagt und das Wort «und». Ich sage sehr oft «ich». Das ist mein Lieblingssatzanfang. Ich, ich, ich bin nicht eloquent. Ich bin der Mittelpunkt meines Mittelpunktes und definiere an mir angepflockt wie eine Ziege einen kleinen Radius um mich herum. Alles andere ist mir und läuft mir zuwider. Ich habe meine eigenen Probleme, die nicht so klein sind, dass man ihnen einen Party-Hut aufsetzen kann und dann sehen sie niedlich aus, so wie man es mit behinderten Kindern macht, Stimmung, Konfetti, Trillerpfeife. Heute muss ich das Aquarium reinigen, sonst sehen die Fische nicht, was ich treibe, wenn ich zu Hause bin. Das sind Probleme, denn das sind Liter. Die Fische reden nicht mit mir, und ich bin aufrichtig froh darüber, denn den ganzen Tag will mir wer was über zu wenig erzählen. Die Fische haben ganz klar zu wenig Durchblick, Kloßbrühe halt. Wenn ich dieses Wasser mit diesem Schlauch absauge, bekomme ich jedes Mal diese Dreckbrühe in diesen Mund. Das sind meine Probleme. Und mehr interessiert mich nicht, nicht mal das so richtig. Ich bin genauso eine Lusche wie alle anderen. Warum sollte mich ein fremder Weg zum Luschigsein interessieren? Ja ja, von wegen nur mal ausreden, nur mal zuhören, nur weil ich Ohren habe und dafür bezahlt werde. Die Fische sind ratlos, weil ihr Himmel aus Flüssigkeit auf sie heruntersinkt. Man kann ihnen ansehen, dass sie bekloppt sind. Ich mag das. Sie schwimmen schlicht nur hin und her. Mir kommt das genauso sinnvoll vor wie alles andere: Geld fürs Brot verdienen, noch mehr Geld für den Brotaufstrich verdienen, Zeit verbringen, indem man das Brot mit dem Brotaufstrich zu sich nimmt, und dieselbe Zeit nutzen, indem man dabei die Abendnachrichten sieht. Was ist passiert? Was ist wo passiert, während ich an der Ampel gepopelt habe? Mein Gott – kann man sich das vorstellen, das ist echt passiert. Ich habs doch im Fernsehen gesehen. Mit eigenen Augen im Fernsehen gesehen. Dass ich nicht lache – eben, dass ich nicht lache. Da lache ich nicht.

    Heute habe ich meine Pflanzen an Fleischerhaken an die Decke gehängt, weil meine Wohnung klein ist. Sie ist nicht zu klein, nur klein. Ich bin auch nicht zu glücklich, nur glücklich. Zum Gießen muss ich in Zukunft auf die Leiter steigen. Ich habe heute Fleischerhaken und eine Leiter gekauft. Ich will in jedem Raum eine Leiter haben. Da kann ich drauf steigen und runterkucken. Dann habe ich einen Überblick, über mein Reich und Reichtum. Im Flur ist kein Fenster, darum habe ich dort Kunstblumen an die Fleischerhaken gehängt. Die Kunstblumen habe ich auch heute gekauft. Eigentlich sind das keine Blumen, aber wenn man ein Herz malt, ist es auch ein Herz und ich sage Herz dazu, also Blumen. Sie stellen etwas dar, und dann ist es wahr, ja. Ich steige im Flur auf die Leiter, um die Spinnen zu entfernen. Die Leiter macht neue Geräusche in der Wohnung. Alle anderen Geräusche kenne ich schon, aber jetzt machen ich und die Leiter zusammen ein neues, Geklapper. Die Leiter ist nicht aus Eisen, sondern aus Aluminium. Immer sind
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