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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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VORSPANN
     
    Der Albtraum
    Ein Ende war nicht abzusehen. Aber einmal musste es doch aufhören. Allein da war nicht das kleinste Lichtpünktchen zu sehen im düsteren schwarzen Tunnel. Dabei ließ sich alles denkbar gut an.
    Fernab vor dem Wagen flirrte die Luft über der schottergewalzten Gebirgsstraße. Die Reifen schwirrten wie zur Untermalung der Radiomusik, gefällige Diskosounds in stereotypem Rhythmus, womit AFN Saratoga seine Hörer aus gängigen Charttops unterhielt. Zwischendurch empfahl die Moderatorin ebenso melodiös wie eindringlich, geparkte Autos abzuschließen und aufgebrochen vorgefundene Fahrzeuge vor dem Besteigen auf Sprengsätze zu untersuchen. Sie fügte den Rat hinzu, außerhalb von Ortschaften nur im Konvoi zu fahren und in Gaststätten niemals die Waffe aus den Augen zu lassen. „In wenigen Sekunden ist es zwölf Uhr“, sagte eine Tonbandstimme, dann verlas die Sprecherin die News.
    Das Auto passierte ein blitzsauberes Dorf, feinziseliert wie ein Schmuckkästchen, durchfuhr intakte, hellgetünchte Häuserzeilen beiderseits der Straße mit verwinkelten Höfen, Gärten und Treppenaufgängen und querte eine steilgeschwungene Steinbrücke, die über eine tief eingeschnittene Schlucht führte. Ein hölzernes Gipfelkreuz mit schrägem zweitem Querbalken markierte die höchste Erhebung des Bergmassivs, darüber hielt ein fahler Halbmond Wache. Das darunter liegende Fort am jenseitigen schroffen Flussufer, ein mächtiger sechseckiger Betonklotz, glich einer zweifach-schmaltürmigen Kathedrale, blendendweiß, eingefriedet von einer doppelt mannshohen Steinmauer. Der zu Kranzrollen geflochtene Stacheldraht, der sie krönte, glänzte im gleißenden Sonnenlicht. Vom nördlichen speerschlanken Minarett aus suchte ein MG-Schütze das Umland mit dem Fernglas ab; auf seiner Brust baumelte ein Kruzifix am Goldkettchen, der junge Mann wirkte routiniert, dabei auch ein wenig verschlafen. Aus den Lautsprechern über der Turmgalerie mit dem drohend geschwenkten durchlöcherten Rohr der Schnellfeuerwaffe ertönte die quäkende Stimme der Radiosprecherin mit freundlichen Börsennotierungen der Exportwerte, die einem neuen Jahreshöchststand entgegenkletterten.
    Der Wagen fuhr in den geräumigen Innenhof der Festung, wo auf langen Tischen ein Büfett mit exotischen Delikatessen und vielerlei alkoholischen Getränken aufgebaut war. Die Fahrerin stieg aus, erhielt von einem livrierten Diener einen kirschfarbenen Longdrink mit klingelnden Eiswürfeln. Während sie trank, führte sie mit der freien Hand das Okular ihres Camcorders ans Auge und schwenkte ihn über die Gemäuer der Zitadelle, bis sie das Objektiv schließlich auf den Eisenkäfig unweit des Büfetts gerichtet hielt. Im Zwinger fauchte und knurrte bösartig ein abscheuliches Monstrum mit räudigem Borstenfell, von dem Geifer und Blut in starken Tropfen herunterrann. Erstaunt bemerkte die Reporterin, dass das Ungeheuer drei Köpfe besaß, die sich kaum voneinander unterschieden. Das absonderliche Geschöpf, eine Mischung aus Löwe, Hyäne und Pavian, fixierte seine Betrachterin durch die eng beieinanderstehenden Gitterstäbe hypnotisierend aus sechs wutblitzenden, grüngelblichen Augen. Das senfgelbe Fell der Gefräße war durch x-förmige schwarzbraune Flecken in grünen Halbringtupfern gepunktet. Als einer der umstehenden Uniformierten das Abscheu erregende Wesen mit einem Stock anstieß, richtete es sich brüllend hoch auf, und die verfilzten Mähnen um die garstigen Häupter sträubten sich heftig.
Unvermittelt fielen die Käfigwände. Das Scheusal war frei. Die Frau hielt den Auslöser der Kamera gedrückt, gleichwohl sie einen Schritt zurücktrat. Im Suchbild des Filmapparats sah sie das Biest mit bluttriefenden Zottelmähnen, und ihr kamen die Gestalten ringsum trotz ihrer menschlichen Gliedmaßen, die in verzweifelt-vergeblicher Gegenwehr strampeln und zappeln, vor wie Untiere, die von jedem der drei geifernden, zähnefletschenden Köpfe unbarmherzig zerfleischt wurden. Das ist inhuman, schoss es der Frau durch den Kopf, eine blutige Schande ist das, Un-Tiere werden von einem trivialen Un-Menschen entzweigefetzt, und sie nahm die Kamera vom Auge, drehte sie herum und richtete sie auf sich selbst. Der winzige Monitor zeigte sie als kleines Kind, völlig verängstigt, mit schweißnassen Haarsträhnen und schmerzverzerrtem Antlitz, das sich in das mittlere der Häupter der zähnefletschenden, sabbernden Chimäre verwandelte. Hastig kehrte sie die
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