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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Anblick so viel nackten Fleisches Regungen überkommen könnten...“
    Anica drückte dem Boy ein paar Dinarscheine, die jetzt Bon genannt wurden, in die Hand; wie immer hatte sie eine 1-Dollar-Note dazwischen versteckt. „Sei so lieb, und hol mir eine Flasche Mineralwasser“, bat sie und stellte sich unter die Dusche. Der Junge kam zurück, noch bevor das lauwarme Wasser aus der Rohrleitung abgelaufen war. Anica hörte ihn ihren Namen rufen. Er kannte ihre Gewohnheiten: Mit der linken Hand durch den Schlitz im Plastikvorhang der Duschkabine nahm sie die bereits geöffnete Flasche entgegen. Unter der Brause stehend ließ sie die eiskalte Flüssigkeit in kleinen Schlucken wohlig in sich hineingluckern.
    Durch das Plätschern vernahm sie eine Mädchenstimme, die den Jungen ausschimpfte, sowie Schlaggeräusche. Sie griente; das Mädchen klopfte das Bettkissen auf, um ihre Anwesenheit zu rechtfertigen, und der Page leerte den Papierkorb in einen Plastikmüllsack, derweil das Pärchen sich unaufhörlich anzankte. Sie hörte, wie der Junge das Zimmer verließ, und sie wusste, dass das Mädchen nun mechanisch nach der baumwollenen Bluse greifen würde, die sie über einen der unbequemen Stahlrohrstühle geworfen hatte. Die Bluse war völlig verschwitzt; auf der Schulterpartie zeichneten sich bräunliche Streifen ab, die von dem Lederriemen der Kamera stammten und verrieten, dass die Fremde keine synthetischen Stoffe an ihrem Körper vertrug. Anica konnte sich gut in das Mädchen hineindenken. Sicher würde es beobachtet haben, dass sie nie das Stari Grad verließ ohne ihren Filmapparat mit dem Auslösegriff in Pistolenform. Manchmal trug sie dazu noch einen selbstblitzenden Fotoapparat. Wenn sie ausging, hing über ihrer Schulter meistens eine Softumhängetasche, in der sich – kunterbunt durcheinander – Tape-Kassetten, Handtuch, Tele- und Weitwinkel-Konverter, Schminkzeug, Wechselakku, Halogenleuchte, Adapterring und Schreibgerät befanden: eine TV-Journalistin, wie sie im Dutzend – freilich ansonsten hauptsächlich männlichen Geschlechts – in Sarajevo herumliefen. Dafür trug die Fernsehfrau stets ihr Handtäschchen bei sich; Djmal hatte heimlich erforscht, dass darin lediglich ein Mini-Camcorder Platz hatte. Diese Reporterin hier kam aus Deutschland. Das Hausmädchen verband mit dieser Bezeichnung bestimmte Erinnerungen. Wie viele ihrer Landsleute hatte auch ihre Familie als sogenannte Gastarbeiter im Ruhrgebiet gelebt, das Mädchen war in Herne geboren und sprach deutsch wie alle anderen Kinder im Wohnviertel. Ihr Vater hatte im Norden an hochklassigen Autos mitgebaut, davor Kohle zu Tage gefördert, die man eigentlich im eigenen Land reichlich genug besaß, sich jedoch wegen des hoch subventionierten fremden Konkurrenzrohstoffs nicht abzubauen lohnte. Es gab hier genug Ältere, die erzählten, dass sie selbst dabei waren, als die Deutschen zusammen mit den Italienern das Land mit Krieg überzogen hatten. Sie hatten ihn verloren. Deutsche Landser, damals stationiert in dem Betonbunker oberhalb von Djmals Heimatdorf, waren von den Partisanen Titos vertrieben worden. Seit geraumer Zeit kamen wieder ausländische Soldaten; sie sprachen türkisch, holländisch, spanisch und französisch sowie englisch zum Teil mit dem quakenden Akzent der Yankees.
Das Wasserrauschen in der Duschkabine verebbte plötzlich.
Geschwind wollte das Mädchen aus dem Zimmer huschen.
    „Bleib doch!“ rief Anica ihm nach.
    „Zasto?“ fragte das Mädchen, hielt die Türklinke heruntergedrückt. „Warum?“
    Die Reporterin war, das Badetuch umgeschlungen, ins Zimmer getreten. „Zasto ne?“ fragte sie zurück.
    „Soweit ich mich erinnern kann“, entgegnete das Mädchen ernsthaft und altklug, „hat es immer Leute in unserem Land gegeben, die hier nichts zu suchen haben, aber trotzdem bestimmen, was zu geschehen hat.“
    „Ich bin Gast hier“, sagte Anica, kratzte sich die nasse Kopfhaut, „und will später bei mir zu Hause berichten, was in deinem Land vorgeht.“
    „Oprostite, molim“, sagte das Mädchen, sah schuldbewusst zu Boden. „Entschuldigen Sie bitte, man darf nicht unhöflich sein.“
    „Wer sagt das?“ fragte Anica, um das Gespräch in Gang zu halten.
    „Geistliche zum Beispiel; sie lehren uns, Demut und Dankbarkeit gegenüber den Fremden zu zeigen. Heute sollen es die Blauhelme sein, die das Land vor Serbien schützen. Doch man war und ist stärker als all die Fremden. Djmal sagt, dass es der Installateur Tripalo
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