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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Kamera erneut herum auf den stinkenden geifernden Rachen der blutrünstigen Bestie, der weit aufgerissen in klaffender Schwärze über der Frau zuklappte.

1 Das Gasthaus Murira
     
    Sie lag kaum zugedeckt in Embryonalstellung auf der baumwollbezogenen Matratze des Holzbettes, die gefalteten Hände unter der rechten Wange gebettet, und als sie jäh erwachte, die Augen aufschlug, herrschte um sie herum absolute Dunkelheit. Lange wusste sie nicht, wo sie war, sie löste die Hände, begann herumzutasten, suchte den Schalter, um das befreiende Licht anzuknipsen, und geriet beinahe in Panik, als es ihr nicht gelingen wollte und es schien, als gäbe es aus der beängstigenden Düsternis kein Entkommen für sie. Sie nahm den warmduftenden Geruch wahr, der von ihrem Körper zwischen den Laken aufstieg, die Luft im Zimmer hingegen war stickig, dumpf und beißend, als habe sich aller Pulverrauch und Steinstaub des Tages bei Sonnenentschwindung hierhin geflüchtet. Mit ihnen waren auch die Gerüche von Abfall, der streng-süßliche Gestank von Verwesung, der Dunst von Schweiß und Abgasen hereingezogen. Vom Innenhof hochsteigende Schwaden von Tabakrauch, angebranntem Essen, verbranntem Industrieholz, Insektenpulver und Exkrementen reizten die Geruchsnerven.
    Die letzte Nacht war unruhig gewesen, schlaflos fast weil lärmerfüllt von Schüssen und Explosionen, und jetzt drang penetrant schmerzhaft das Geschrei der Straßenverkäufer und der mit ihnen feilschenden Kundschaft in das Ohr der Frau auf dem Bett, die gegensätzlichste Musik, orientalische Töne aus der Teestube gegenüber und modernistische, metallene Klänge aus dem Radiorekorder eines uniformierten Jugendlichen auf der Straße, und das wimmernde Plärren eines Neugeborenen.
    Bei geschlossenen Lidern flimmerte es vor ihren Augäpfeln, und die Bilder der unmenschlichen Bestie, umstanden von diesen Un-Tieren, liefen ab wie ein Horrorthriller nach einer Novelle von E. T. A. Hoffmann. So blinzelte sie lieber eine Spur bange und sehr vorsichtig in die Finsternis, tastend nach dem Lichtschalter, und rümpfte verdrießlich die Nase, weil das Telefon anschlug und sie sich ihrer wenig rühmlichen Situation schlagartig bewusst wurde.
    Nicht schon wieder, dachte sie. Nicht schon wieder dieser Traum! Dieser grauenvolle Alptraum! Du hast also Angst. Angst vor dem, was noch auf dich zukommt. Gleichzeitig wartest du darauf. Sogar sehnlichst! Auf dieses beispiellose Ereignis, das die Erde erschüttern wird und von dem du die Welt ins Bild setzen wirst. Du und niemand anderer. Exklusiv.
    Was denkst du dir da für einen trivialen Unsinn zusammen! wischte sie ihre Gedanken fort. Du willst deinen Job machen. Sonst nichts. Du willst ihn so gut machen, wie du kannst. Ehrliche Bilder willst du machen und sie mit wahren Worten kommentieren. Ausschließlich.
    Aber was bedeutete dieser Traum? Träume haben meistens nichts mit der Realität zu tun. Doch, irgendwie schon. Auf seltsame, verschlungene Art. Die sich einem nicht sogleich erschließt. Es könnte eine Vision sein. Nein, ich glaube, es ist eine Vision. Eine kassandrische Vision...
    Endlich fand eine Hand den Lichtschalter der schwachen Nachttischleuchte. Die Frau erblickte etwas Riesengroßes, Verschwommenes, Beängstigendes, das sie nicht sogleich identifizieren konnte. Allmählich zeichnete sich ein Fingernagel ab an einem übergroßen Finger, umwickelt mit dicken, goldenen Seilen, so dicht bei ihren Augen, dass sie sich anstrengen musste, ihren Blick darauf einzustellen, um die Umrisse deutlich zu erfassen, sie aus dem Wust der optischen Eindrücke herauszulösen, und sie erkannte ihren Daumen mit ihren goldblonden Haarlocken drum herum.
    Über dem Bett hing das zusammengeknüpfte Fliegennetz, es war durchlöchert, schützte kaum vor Stechmücken und anderen Plagegeistern. Durch das verdunkelte, mit zerschlissener Drahtgaze bespannte Fenster, mit ebenso löchrigen Gardinen verhangen und die Hälfte der Glasscheibe notdürftig mit Plastikfolie ausgeflickt, schienen sich Gerüche und Geräusche intensiver denn je den Weg hereinzubahnen. Der gedankenverlorene und auch verunsicherte Augenmerk der Frau wanderte von den Beinen eines Kamerastativs mit wie Gichtknoten anmutenden Gelenken über das blicklos durch die Fensterverdunkelung starrende Teleobjektiv und blieb an etlichen reglosen Zikaden an der Zimmerdecke haften; sie wirkten wie wahllos hingeklebte Scherenschnitte.
    Auf dem Gang vor der Tür hörte die Frau auf dem Bett die
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