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Schneller als der Tod

Schneller als der Tod

Titel: Schneller als der Tod
Autoren: Josh Bazell
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Kapitel 1
    Ich bin also auf dem Weg zur Arbeit und bleibe stehen, um einer Taube zuzuschauen, die im Schnee mit einer Ratte kämpft, und irgend so ein Dödel will mich ausrauben! Mit Knarre natürlich. Er kommt von hinten und drückt sie mir in die Schädelbasis. Sie ist kalt und fühlt sich sogar gut an, nach Akupressur. »Ganz ruhig, Doc«, sagt er.
    Womit das wenigstens erklärt ist. Nicht mal früh um fünf bin ich der Typ, den man überfällt. Ich sehe aus wie das Osterinsel-Standbild eines Hafenarbeiters. Aber der Dödel sieht die blaue OP-Hose unter meinem Mantel und die atmungsaktiven grünen Plastikclogs und vermutet Drogen und Geld bei mir. Und denkt wohl, ich habe einen Eid geschworen, ihm nicht die dödelige Hucke vollzuhauen, dass er mich ausrauben will.
    Ich hab gerade mal genug Drogen und Geld, um den Tag zu überstehen. Und wenn ich mich richtig entsinne, hab ich mir nur geschworen, nicht den
ersten
Stein zu werfen. Ich glaube, über den Punkt sind wir hinaus.
    »Okay«, sage ich und nehme die Hände hoch.
    Die Ratte und die Taube hauen ab. Feiglinge.
    Ich drehe mich um. Das bringt die Knarre von meinem Schädel weg, und meine erhobene Rechte ist über dem Arm des Dödels. Ich umfasse seinen Ellbogen und reiße ihn hoch, sodass die Bänder krachen wie Sektkorken.
    Schnuppern wir einen Augenblick an der Rose namens Ellbogen.
    Elle und Speiche, die beiden Unterarmknochen, funktionieren unabhängig voneinander und können Rotationsbewegungen ausführen. Schaut der Handteller nach oben, liegen Elle und Speiche nebeneinander; wendet man ihn nach unten, kreuzen sie sich zu einem »X«.*
(Die gleiche Anlage ist, wenn auch rudimentär, im Unterschenkel zu erkennen. Tibia und Fibula, die beiden Unterschenkelknochen, sind fest verankert. Der äußere, die Fibula oder das Wadenbein, trägt noch nicht einmal Gewicht. Man kann es - zur Knochentransplantation etc. - sogar weitgehend entfernen, ohne dass die Gehfähigkeit des Patienten beeinträchtigt wird, solange man Knie und Fußgelenk dabei nicht beschädigt.)
Dazu ist eine komplizierte Verankerung am Ellbogen notwendig, wo die einzelnen Knochenenden von sich auf- und abwickelnden Bändern umschlossen sind, die an die Umwicklung eines Tennisschlägers erinnern. Es ist eine Schande, diese Bänder zu zerreißen.
    Aber im Moment haben der Dödel und ich ein schlimmeres Problem. Während meine rechte Hand ihm den Ellbogen kaputtgemacht hat, ist meine linke nämlich neben meinem rechten Ohr in Position gegangen und hält messerspitz auf seine Kehle zu.
    Trifft sie, wird sie die empfindlichen Knorpelspangen zerstören, die die Wand der Luftröhre versteifen. Wenn er dann das nächste Mal einatmet, verschließt sich die Luftröhre wie ein After, und ihm bleiben vielleicht noch sechs Minuten, bis ihn der Schnitter holt. Selbst wenn ich bei dem Versuch, ihm einen Luftröhrenschnitt zu machen, meinen Propulsatilkuli ruiniere.
    Also bettle und flehe ich und lotse die Flugbahn meiner Hand nach oben. Über sein Kinn hinaus und über seinen Mund - das wäre eklig gewesen -, so dass sie auf seine Nase zielt.
    Die gibt nach wie nasser Lehm. Nasser Lehm mit Zweigen drin. Der Dödel knallt bewusstlos auf den Gehsteig.
    Ich vergewissere mich, dass ich ruhig bin - ich bin's, ich bin nur verärgert -, bevor ich mich neben ihn knie. Planung und Übersicht sind in diesem Fach und wahrscheinlich bei allem, was man tut, sehr viel wichtiger als Tempo.
    Nicht, dass die vorliegende Situation viel Planung oder Übersicht erfordert hätte. Ich drehe den Dödel auf die Seite, damit er nicht erstickt, und lege ihm den nicht gebrochenen Arm unter den Kopf, damit sein Gesicht vor dem eisigen Pflaster geschützt ist. Dann prüfe ich, ob er noch atmet. Er blubbert direkt vor Lebensfreude. Auch der Puls an seinen Hand- und Fußgelenken ist kräftig genug.
    Also frage ich in Gedanken wie immer in solchen Situationen den Meister - Professor Marmoset -, ob ich jetzt gehen kann. Und wie immer in solchen Situationen höre ich Professor Marmoset
nein
sagen und hinzufügen:
Was würdest du tun, wenn er dein Bruder wäre?
    Ich seufze. Ich habe keinen Bruder. Aber ich weiß, worauf er hinauswill.
    Ich setze das Knie auf den kaputten Ellbogen des Typs, ziehe die Knochen so weit auseinander, wie die Sehnen es aushalten dürften, und lasse sie langsam in die Lage des geringsten Widerstands zurückgleiten. Dabei ächzt der Dödel vor Schmerzen im Schlaf, aber egal: In der Notaufnahme würden sie das Gleiche mit
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