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Wer braucht denn schon Liebe

Wer braucht denn schon Liebe

Titel: Wer braucht denn schon Liebe
Autoren: Marte Cormann
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San Marcino
    »Dein Vater duldet keine Extratouren. Er wird mir den Kopf abreißen, wenn er es erfährt.«
    »So ist das eben mit dem Überbringer schlechter Nachrichten.« Lorenzo grinste seinen Freund breit an und ließ dabei eine Reihe strahlend weißer Zähne erkennen, doch Antonio Ferraris zeigte sich nicht die Spur beeindruckt.
    »Dann lass mich wenigstens mitkommen. Sobald sich herumspricht, dass du allein unterwegs bist …«
    »Es wird sich nicht herumsprechen«, entgegnete Lorenzo scharf, wobei seine braunen Augen gefährlich funkelten. »Verdammt! In ein paar Wochen werde ich dreißig. Da werde ich doch mal einen kleinen Spaziergang ohne meine Familie machen dürfen!«
    »Sprechen wir von derselben Familie?« Mit seinen ein Meter neunzig überragte Antonio seinen Freund immerhin noch um knappe acht Zentimeter. Ein Längenunterschied, den er nun sehr bewusst ausspielte, ebenso wie seine imponierende Schulterbreite. Vor Lorenzos Augen schien er sich regelrecht aufzupumpen.
    »Sag ihm, dass ich neunundzwanzig Jahre lang stets nur das getan habe, was er von mir erwartete. Vierzehn Tage meines Lebens, nur für mich allein, sind nicht zu viel verlangt. Er wird es bestimmt verstehen.«
    »Deshalb hast du ihm ja auch einen Brief geschrieben, anstatt es ihm selbst zu sagen«, entgegnete Antonio trocken.
    Auf Lorenzos Stirn erschien eine steile Falte. »Jemand anderes hätte diese Bemerkung nicht überlebt«, reagierte er kalt.
    »Ich weiß.« Der tiefe Seufzer kam Antonio von Herzen, bevor er schließlich geschlagen in die Innentaschen seiner schwarzen Anzugjacke griff.
    »Hier. Aber nur für den Notfall.« Als er die Hand hervorzog und öffnete, lagen seine Scheckkarte und ein Päckchen Kondome darin. Im nächsten Augenblick erntete er dafür einen wohlgesetzten Hieb in den Bauch, der ihn zusammenklappen ließ. Die einzige Möglichkeit für Lorenzo, Antonio zu umarmen.
    »Danke, alter Freund.«
    »Geh uns nicht verloren, Renzo.«
    »Ein Mitglied der Familie geht nie verloren.«
    Diesmal bleckte Antonio sein Gebiss, das leider nicht annähernd so makellos war wie das seines Freundes.
    »Solange es mich gibt, jedenfalls nicht!«

Eins
    Mit einer eleganten Bewegung ihres Kopfes schwang Karen Rohnert ihre langen Haare über die Schultern nach hinten. Das Sonnenlicht, das durch die angeschmutzten Fensterscheiben mit der Aufschrift Brodes Fleisch- und Wurstparadies zu ihnen hereindrang, verfing sich in ihrer kupferfarbenen Lockenmähne und brachte sie wie einen Heiligenschein zum Leuchten. Mit den türkisblauen Augen unter dem dichten schwarz getuschten Wimpernkranz, den vollen, zum grauen Kostüm rosenholzfarben geschminkten Lippen und dem üppigen Dekolleté wirkte sie wie einem Gemälde von Rubens oder Tizian entstiegen. Pure Sinnlichkeit und Unschuld in einer Person.
    »… und wenn Sie dann den Blick von meinen Brüsten losreißen könnten, gebe ich Ihnen noch einen erstklassigen Ratschlag, den Sie in den Unterlagen, die vor Ihnen liegen, nicht finden werden. Sozusagen als Einstiegsgeschenk! Lernen Sie Niederländisch.« Karens Stimme umsäuselte ihr Gegenüber wie eine laue Frühlingsbrise, doch ihr Blick schien ihm die Haut von den Knochen zu lösen.
    Metzgermeister Bernhard Brodes, Endfünfziger und Eigentümer der einzigen Fleisch- und Wurstwarenfabrik im weiteren Umkreis des niederrheinischen Städtchens Meerbusch, fühlte, wie ihm die Hitze in den Kopf schoss und er zu schwitzen begann.
    »Gibt es bei Ihnen auch Männer?«, krächzte er in einem verzweifelten Versuch von Selbstverteidigung.
    Karen seufzte still in sich hinein. Da waren sie wieder, diese typisch männlichen Vorurteile gegenüber weiblichen Unternehmensberaterinnen. Besonders die Inhaber kleinerer Mittelstandsbetriebe taten sich schwer damit, einer Frau den Job zuzutrauen. Sollte sie ihm nun einfach ins Gesicht sagen, dass ihre männlichen Kollegen bloß snobistisch die Nase gerümpft hatten, als der Auftrag vergeben wurde?
    »Pass auf, wenn du dem Brodes die Hand gibst, dem klebt BSE an den Fingern!«, hatte Kollege Ackermann ihr vor weniger als einer Stunde in einem Anflug von Häme mit auf den Weg gegeben. Während er selbst in Richtung Finanzministerium davoneilte, wo Unternehmensberatung im großen Stil auf ihn wartete. Ein Auftrag, finanziert aus Steuermitteln, zu dem auch Karen eingeteilt worden war. Aber im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen gestattete sie sich den Luxus, zusätzlich auch noch ein bisschen Zeit für ihre Ideale zu
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