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Wer braucht denn schon Liebe

Wer braucht denn schon Liebe

Titel: Wer braucht denn schon Liebe
Autoren: Marte Cormann
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hinüber zu seinen Beamten, die bestätigend mit den Köpfen nickten.
    »Eine ernst zu nehmende Überlegung, aber vergessen Sie bitte nicht, Herr Staatssekretär: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken!« Karens klare Stimme durchschnitt die bis dahin friedliche Atmosphäre wie ein Skalpell. Sie spürte, wie Kesselbaum neben ihr peinlich berührt zusammenzuckte, während Ackermann auf der anderen Seite fast unmerklich von ihr abrückte. Für einen Moment schienen alle im Raum den Atem anzuhalten.
    Staatssekretär Gerber musterte Karen überrascht, die seinen Blick offen und durchaus freundlich erwiderte. Von seinen Parteikollegen und der Opposition war er es gewohnt, dass sie in regelmäßigen Abständen mehr oder weniger öffentlich über seinen Rücktritt spekulierten. Nicht aber von seinen Mitarbeitern oder gar den Vertretern von Firmen, die von Aufträgen seines Ministeriums abhängig waren. Die unerschrockene, provokative Haltung der jungen Frau ließ ihn innerlich lächeln, weil sie ihn unbeabsichtigt an seine Zeit als junger, noch ungestümer Parlamentarier erinnerte, als er noch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legte, bevor er es aussprach. Ärger war damals für ihn vorprogrammiert gewesen, und Ärger würde auch die junge Frau bekommen, wenn er Kesselbaums Gesichtsausdruck richtig interpretierte.
    »Ausgesprochen pointensicher, junge Frau, gratuliere«, bemerkte Gerber scheinbar gönnerhaft. Dienstbeflissenes Stühlerücken setzte ein, als er sich erhob.
    »Leider muss ich mich an dieser Stelle verabschieden. Der nächste Termin. Aber ich erwarte Ihren Bericht zu den Personalzahlen in einer Woche. Lassen Sie sich bitte einen Termin bei meiner Sekretärin geben«, sagte er zu Kesselbaum, als er diesem die Hand gab. Gerber war schon fast an der Tür, als er sich noch einmal umwandte und Karen direkt ansprach. »Und auf Ihre Analyse bin ich schon ganz besonders gespannt.« Mit einem Lächeln eilte er hinaus. Augenblicklich begann Karen zu strahlen. Na also, war doch prima gelaufen.
    »Wie heißt es so schön? Frechheit siegt?«, grollte neben ihr Ackermann, eifersüchtig auf so viel Aufmerksamkeit. Bevor Karen darauf etwas erwidern konnte, zog Kesselbaum sie am Ellenbogen mit sich fort in eine stille Ecke des Raums.
    »Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?«, platzte er mit zornrotem Kopf heraus. »Ihre unbedachte Bemerkung hätte uns den Auftrag kosten können. Noch so ein Fauxpas, und Sie sind gefeuert!«
    Karen spürte, wie sie zu frösteln begann. »Ich kann Ihren Ärger ja verstehen …«
    »Nein, das können Sie nicht«, unterbrach Kesselbaum sie grob. »Eine Firma zu leiten bedeutet Verantwortung zu tragen, bedeutet Gespür zu entwickeln für das, was geht. Für angemessenes Verhalten. Für wohlgesetzte Worte. Lieber einmal Katzbuckeln zu viel als einmal zu wenig. Das bin ich meinen Mitarbeitern schuldig.«
    »Und unseren Auftraggebern sind wir Ehrlichkeit und klare Worte schuldig«, erwiderte Karen trotzig. »Ich leiste tadellose Arbeit, und das wissen Sie auch.« Aus den Augenwinkeln erkannte sie, wie Ackermann seine Unterlagen betont langsam in seine Tasche packte, nur, um nichts von ihrer Auseinandersetzung mit Kesselbaum zu verpassen.
    Kesselbaum seufzte tief. »Dennoch, Ihre Art …«
    »Was meinen Sie?«
    »Mit Ihrer Direktheit bringen Sie die Firma in Schwierigkeiten. Sie sind … äh … Ihr Verhalten ist … äh … irgendwie unausgewogen. Eruptiv, falls Sie verstehen, was ich meine.« Nervös fingerte Kesselbaum an seiner Krawatte.
    Gleich fragt er mich, ob ich bald meine Periode bekomme, schoss es Karen durch den Kopf.
    »Haben Sie schon mal an eine Therapie gedacht?«, hörte sie stattdessen.
    Karen biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut herauszuschreien vor Empörung. Kesselbaum, dieser Zwergpinscher, wie sie ihn insgeheim betitelte, machte entschieden zu viel Aufhebens von einer kleinen Bemerkung, die bei näherer Betrachtung, wie sie sich mittlerweile selbst eingestand, weder originell noch sonderlich diplomatisch gewesen war. Am schlimmsten aber war Ackermann, der im Hintergrund mit einer obzönen Geste den übrigen Kollegen zu verstehen gab, dass Karen ganz etwas anderes brauchte als eine Therapie.
    Doch Karen riss sich zusammen. Nach außen hin ruhig nickte sie bloß. »Wenn es den Geschäftsinteressen dienlich ist, werde ich mich selbstverständlich gleich morgen nach einem Spezialisten für auffällige Direktheit und Wahrheitsliebe umsehen. Sie haben sicher nichts
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