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Die Feenflöte

Die Feenflöte

Titel: Die Feenflöte
Autoren: Gerhard Rose
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Die Feenflöte
     
     
    Prolog
     
    Schon als ich noch eine junge Fee war, zeichnete sich mein Wesen durch Übermut und ein lebhaftes Temperament aus. So manchen Riss in meinen Kleidern mußte meine Mutter flicken, nachdem ich wieder einmal zu heftig und unvorsichtig durch die Büsche meiner Heimat getobt war, woran mich mein verwachsener schiefer Fuß niemals hinderte. Natürlich schimpfte sie mit mir, wie alle Mütter es in diesen Fällen tun. Dennoch bemerkte ich das kleine Lächeln, das dabei manchmal in ihren Mundwinkeln zuckte, sodaß ich mir nie allzu viel aus ihrem Tadel machte. Erst viel später erfuhr ich, wie wild und ungestüm sie selbst gewesen war, damals, in ihrer Jugend, in jener lange vergangenen Zeit.
    Eines Tages hatte ich es übertrieben. Ich hätte um das größere Geschick und die Kraft der älteren Feenkinder wissen müssen. Oft genug hatte ich die anderen geärgert, hatte ihnen Streiche gespielt und war trotzdem entkommen. Wahrscheinlich hatte ich es verdient, daß mir dieses Mal die anderen überlegen waren. Kurzum, ich lag am Boden, mein Knöchel schmerzte heftig, das lange Kleid hatte einen ebenso langen Riss, und meine Hände und Arme waren von den zahllosen Dornen der Akazienhecke zerstochen und bluteten aus langen Kratzern. Anfangs biß ich die Zähne zusammen. Mit trotzigem Gesicht stand ich auf, unterdrückte tapfer die aufsteigenden Tränen und rannte schließlich davon, in Richtung nach Hause.
    Heulend warf ich mich meiner Mutter in die Arme, wollte getröstet werden. Das tat sie auch, aber nicht ohne mir dazwischen eine Strafpredigt zu halten, wegen des zerfetzten Kleides wie wegen meiner Wildheit, der ich mein Missgeschick letztlich zu verdanken hatte. Bald siegte die Sorge über ihren Ärger, denn mein Knöchel schwoll bedrohlich an, und die Kratzer an den Armen entzündeten sich. Ich bekam sogar Fieber, was bei uns Feen eher selten vorkommt. Deshalb rief meine Mutter ihre Tante zu uns. Sie war sogar für Feenverhältnisse alt, hatte ein eingefallenes Gesicht, ein spitz vorstehendes Kinn, und stützte ihren gebeugten Körper auf einen kunstvoll geschnitzten Stock. Sie betrachtete die roten Striemen auf meinen Armen, sah mir lange tief in die Augen, und murmelte meiner Mutter etwas zu. Wie sich sehr schnell herausstellte, hatte sie die Ingredienzen für die Kräutermedizinen aufgezählt, die mich kurieren sollten.
    Ich zog meinerseits bald die ersten Lehren aus dem Vorfall. Wenigstens für die nächste Zeit würde ich vorsichtiger sein, und die Erinnerung an den bitteren Tee und die stinkende Salbe auf meinen Armen waren mir für lange Zeit eine wirkungsvolle Mahnung, die Notwendigkeit von Behandlungen dieser Art möglichst zu vermeiden. Selbstverständlich halfen sie mir großartig, doch bis es so weit war, hatte ich zunächst noch mehr zu leiden. Für kurze Zeit stieg das Fieber sogar noch an, und die Wirkung der Mixturen ließ mich mit glasigen Augen und verwirrten Sinnen für einige Stunden elendig daliegen.
    Am Abend brachte mir meine Mutter frische Milch mit etwas Honig. Eine Leckerei, die sie aus der Küche des benachbarten Bauernhauses herbei geholt hatte. Die Bauersleute war auf gute Nachbarschaft mit uns kleinem Volk bedacht und ließen regelmäßig gute Gaben wie Milch, Brot oder sogar Honig in der Küche für uns zurück.
    Sie setzte sich auf mein Bett und gab mir den Becher mit dem warmen Getränk.
    "Trink das, Merlane, damit du gut schläfst."
    "Ich bin gar nicht müde. Nur ganz wirr im Kopf."
    "Das kommt von der Medizin. Und jetzt schlaf."
    "Nein, Mama, ich kann jetzt nicht schlafen. Erzählst du mir was?"
    Meine Mutter seufzte und strich mir über den Kopf.
    "Mein kleiner Wildfang! Mußt du es denn immer wieder so heftig treiben? Das hast du nun davon. Was soll ich dir denn erzählen? Die Geschichte von der Fee im Brunnen?"
    Ich schüttelte den Kopf.
    "Die Geschichte über die Herkunft der Selkies?"
    Nein, auch danach war mir nicht.
    "Weißt du keine andere Geschichte, ich meine, so eine richtige, etwas Neues, was ich noch nie gehört habe?" fragte ich sie.
    Mutter schien zu zögern und schaute mich an.
    "Seltsam, ausgerechnet jetzt, wo du danach fragst, fällt mir diese alte Geschichte wieder ein. Seit meiner Kindheit habe ich nicht mehr daran gedacht."
    Nachdenklich schüttelte sie den Kopf.
    "Was ist das für eine Geschichte?" wollte ich wissen.
    "Es ist die Geschichte über ein Buch. Man nennt es
Tor der Musik
."
    "Eine Geschichte über ein Tor?"
    "Nein, nicht
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