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Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Andreas Föhr
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den leerstehenden Hof des Kreuzbauern mit der Kapelle, der ganz in der Nachbarschaft lag, und machte sich daran, unter dem Kirchlein ein geheimes Grab auszuheben. Manch einer wunderte sich über den alten Bauern, wenn man ihn des Nachts über den Hof schleichen sah mit einer Schaufel in der Hand, und dass er tagsüber oft müde war und schlief. Viele Monate dauerten die Grabungs- und Maurerarbeiten. Ägidius baute alles alleine und ließ niemanden auch nur in die Nähe der Kapelle. Schließlich war die Gruft vollendet, und Frieda Jonas fand ihre letzte Ruhestätte.
    Doch war das erst der Anfang. In den nächsten Jahren schmückte Ägidius Haltmayer das Mausoleum mit künstlichem Gold und Edelsteinen aus Glas und Plastik, bis es einem Pharaonengrab glich – jedenfalls in der Vorstellung des alten Bauern. Jeden Tag verbrachte Ägidius viele Stunden unter der Erde und hielt Zwiesprache mit der Toten. Am liebsten hätte er den Kreuzhof gekauft. Aber die Besitzer wollten nur vermieten. Als Bauer gab man sein Land nicht für immer her.
    Als Ägidius Haltmayer Mitte der sechziger Jahre spürte, dass seine Kräfte zur Neige gingen, musste er noch einmal bauen. Niemand sollte je das Grab von Frieda entweihen. Wenn er tot wäre, fiele die Kapelle wieder in andere Hände. Also mauerte er das Grab zu und konnte zu seinem großen Kummer die letzten Monate seines Lebens nicht mehr mit seinem Kind zusammen sein.

    Und Nissl? Das Leben ist ungerecht. Aber manchmal bekommt man auch unverhofft etwas geschenkt. Der Krieg war vorbei, und alle waren damit beschäftigt, ihre Wunden zu lecken, Pläne zu schmieden oder Kaugummis von der Straße aufzusammeln. Dem einen oder anderen, der am zweiten Mai im Volkssturmtrupp in Dürnbach dabei gewesen war, mag zwischendurch eingefallen sein, dass sie den langen Kerl eingesperrt hatten. Aber, so musste jeder denken, den haben sie sicher am gleichen Tag wieder rausgelassen.
    Und da alle das dachten, blieb Nissl Tag um Tag in seinem Kellerverlies und hungerte. Wenn es draußen regnete, was in diesem Mai oft vorkam, konnte er das Wasser in seinen Händen sammeln. So musste er wenigstens nicht verdursten. Seine Eltern hatten Nissl zuletzt gesehen, als er in Hausham in einen Laster gestiegen war, der ihn mit anderen zum Einsatz nach Miesbach brachte. Keiner konnte den Eltern sagen, wo ihr Sohn hingeraten war. Einer meinte, er sei vielleicht nach Gmund gekommen und da habe es noch Kämpfe gegeben. Die Eltern meldeten ihren Sohn als vermisst und hofften, er würde irgendwann lebend wieder auftauchen.
    Am zwanzigsten Mai betrachtete Ägidius Haltmayer wie jeden Tag Friedas Leichnam, der trotz kühler Temperaturen unter der Kapelle langsam zu verwesen begann. Ihm fiel an diesem Tag zum ersten Mal auf, dass sie ihr Medaillon nicht um den Hals trug. Friedas Mutter hatte es ihrer Tochter einst geschenkt, und Ägidius Haltmayer hatte es während Friedas Zeit im KZ aufgehoben und es ihr zusammen mit dem Kleid und der Mütze hingelegt, als sie sich nach ihrer Flucht gewaschen hatte. Das hieß, Frieda hatte es am zweiten Mai getragen.
    Haltmayer bestieg sein Motorrad und fuhr zum Sakerer Gütl, denn sie konnte es nur dort verloren haben. Nach kurzer Suche fand er das Medaillon, und als er sein Motorrad wieder besteigen wollte, hörte er eine dünne, vertrocknete Stimme. Er drehte sich um und sah eine knochige Hand zwischen den Gitterstäben des Kellerfensters hervorragen. So rettete Frieda Jonas am Ende dem Jungen das Leben, der sie verraten hatte.
    Und noch einmal sollte Nissl in seinem Leben Glück widerfahren: Der Lehrer, dem Nissl bei der Schießübung vor dem Sakerer Gütl fast ins Bein geschossen hätte, wurde von Schuldgefühlen gequält, als er später von Nissls Schicksal erfuhr. Da er etliche Häuser in der Miesbacher Innenstadt geerbt und selbst keine Kinder hatte, machte er seinerseits Thomas Nissl zu seinem Erben, der Ende der sechziger Jahre in den Genuss der Immobilien kam und es so immerhin ein paar Jahre lang krachen lassen konnte.

69
    Herbst 1992
    D ie Luft war klar und kalt und frisch, als Wallner nach Hause ging. Man konnte die Milchstraße sehen. Und doch konnte Wallner nicht frei atmen. Es lag ihm die Frage auf der Brust, ob Lukas nicht doch recht hatte und man Kieling zur Rechenschaft ziehen sollte, auch wenn es nicht legal war.
    Manfred hatte Kegelabend. Deshalb saß Wallner nur mit seiner Großmutter vor einer aufgewärmten Kohlroulade, die ihm nicht so recht schmecken
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