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0009 - Der Hexenmeister

0009 - Der Hexenmeister

Titel: 0009 - Der Hexenmeister
Autoren: Gerhart Hartsch
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»Hier bleibe ich keine Sekunde länger«, flüsterte Nicole Duval. »Ich bin nicht abergläubisch und keineswegs ängstlich. Aber ich sehe nicht ein, warum ich mich solchen Gefahren aussetzen soll. Nehmen wir an, der Spuk erklärt sich auf sehr natürliche Art und Weise. Ich erwarte beinahe nichts anderes. Dann kann das nur bedeuten, daß wir hier unerwünscht sind. Man will uns vergraulen!«
    »Ich bin nicht gekommen, weil mich jemand eingeladen hat«, sagte Bill achselzuckend. »Ich bin vielmehr ein ernsthafter, wissenschaftliche Forschungen betreibender Historiker. Ich befasse mich mit der mittelalterlichen Sekte der Albigenser. Sie haben in dieser Gegend ihr Unwesen getrieben. Also sehe ich mir die Montagne Noire – die Schwarzen Berge – genauer an und dieses Dorf auch.«
    Ängstlich blickte Nicole Duval durch die offenstehende Tür, in der sie stand, hinaus nach draußen in den Hof.
    Da war ein Wispern und Raunen in den Zweigen der Holunderbüsche, die eine lebende Wand bildeten zwischen dem, was die Einwohner des südfranzösischen Dorfes Pelote für eine Straße hielten, und dem, was sich als Gasthof ausgab. Jedenfalls stand das auf dem rostzerfressenen Schild über dem Eingang.
    Schaudernd warf Nicole Duval einen Blick über die Schulter. Wie offene Wunden saßen die blutroten Dolden der Büsche im Grün des wuchernden Laubes. Ein Vogel erhob sich in die Luft, und ein großer dunkler Körper huschte blitzschnell über den freien Rasen zwischen Haus und Straße. Die Augen der Katze funkelten und leuchteten.
    Ein neues Geräusch ließ das Mädchen aufmerken.
    »Was war das?« fragte Nicole Duval ängstlich. Ihre Finger krampften sich in den Arm des Begleiters.
    »Klingt wie das Klirren von Ketten«, meinte Bill Fleming.
    Über ihren Köpfen im ersten Stock erklangen schleppende Schritte. Es folgte ein dumpfer Fall. Jemand seufzte abgrundtief, wie zu Tode erschöpft. Dann folgte das helle Sirren einer scharfen Klinge.
    Knochen knirschten. Ein Kopf fiel die Stiegen herunter. Er polterte von Stufe zu Stufe, kollerte über den Holzfußboden und blieb vor den Füßen der beiden Gäste liegen.
    Pergamenthaut, wie dunkel gebeizt, spannte sich über hohe Backenknochen. Ein zynisches Grinsen legte zwei Reihen gelblicher Zähne frei. Eine weiße Schlange schoß aus der leeren Augenhöhle, ringelte sich blitzschnell davon, verschwand durch einen Spalt in der Mauer.
    Schreiend ergriff Nicole Duval die Flucht. Sie lief nach draußen und hetzte über den gepflasterten Hof. Ihre hohen Absätze trommelten auf hartem Untergrund. Das Mädchen schluchzte.
    Zitternd erreichte Nicole Duval den geliehenen Peugeot, mit dem sie hergekommen waren. Mit bebenden Händen riß sie den Wagenschlüssel aus der Handtasche. Sie schloß auf und bückte sich, um hinter das Lenkrad zu schlüpfen.
    Da prallte sie zurück.
    Auf dem Beifahrersitz hockte ein Skelett!
    Der Knochenmann kippte langsam um. Er löste sich in seine Bestandteile auf. Bleiches Gebein schepperte über die Fußpedale des Autos.
    Nicole Duval schrie wie von Sinnen.
    Bill Fleming hetzte heran.
    »Was, zum Teufel, ist nun schon wieder los?« brüllte er.
    Nicole Duval rang nach Atem. Stumm – mit bebenden Fingern – deutete sie auf den Haufen Knochen im Wagen.
    »Da hat – uns jemand einen Streich gespielt. Das ist doch klar«, schnaufte Bill Fleming. »Wenn wir hysterisch reagieren, hat er seinen Spaß. Also reißen Sie sich zusammen, Nicole. Professor Zamorra hat gesagt, Sie glauben nicht an übernatürliche Dinge. Daher habe ich Sie für diesen Ausflug engagiert. Sie sollen meine Notizen ordnen und abschreiben. Das ist alles. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen – es gibt für alles eine natürliche Erklärung.«
    »Auch für das?« fragte Nicole Duval erschöpft.
    Sie deutete hinauf zur Flanke des Berges. Dort lag wie ein Dämonenauge im Grün des Waldes und vom Mondlicht überflutet der Umriß einer niedergebrannten Kirche.
    Die Einwohner von Pelote nannten das den Heiligenschein des Teufels. Denn die düsteren Mauerreste bargen ein furchtbares Geheimnis. Wer es zu ergründen versuchte, starb. Wie jener Student, den man einen Tag nach seinem waghalsigen Aufstieg mit entsetzlichen Brandwunden fand, die den ganzen Körper bedeckten. Dabei sollte es sich nach Meinung Eingeweihter um bestimmte magische Symbole der Sekte der ›Verzehrenden Wahrheit‹ gehandelt haben.
    Die Polizei hatte den Fall längst zu den Akten gelegt. Die Bewohner des kleinen südfranzösischen
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