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0009 - Der Hexenmeister

0009 - Der Hexenmeister

Titel: 0009 - Der Hexenmeister
Autoren: Gerhart Hartsch
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glauben.
    Auf einem Katafalk ruhte die Gestalt eines Greises in einer erdbraunen Kutte. Der alte Mann trug geflochtene Ledersandalen. Sein Gesicht war eingefallen und blutleer. Die Hände hielt er gefaltet. Dazwischen steckte ein silbernes, merkwürdig geformtes Kreuz.
    Die Stirnseite des quadratischen unterirdischen Raumes war verstellt von einem riesigen Gong.
    Mit dem Rücken zum Betrachter verharrte ein schweigendes Heer von Kapuzenmännern kniend vor dem Alten. Sie murmelten Gebete.
    Magische Zeichen und Symbole bedeckten die nackten Steinwände. Ein Duft von Weihrauch und Myrrhe lag in der Luft.
    Bill Fleming konzentrierte sich auf den Greis, dessen letzte Ruhestätte von flackernden Kerzen umstellt war.
    Der Amerikaner wußte nicht mehr, was er tat. Er setzte mechanisch einen Fuß vor den anderen. Er schritt durch die Versammlung, ohne beachtet zu werden. Vor dem Katafalk blieb er stehen. Zwei in den Stein gehauene Stufen führten hinauf.
    Jetzt erst bemerkte Bill Fleming, daß der weißhaarige Kopf des Alten auf einem dicken Buch lag, das sieben Metallspangen verschlossen.
    Das war der Codex seriptus der Albigenser – das Buch der sieben Siegel.
    Bei dieser Erkenntnis zuckte der Amerikaner zusammen wie unter einem Stromschlag. Er wähnte sich am Ziel.
    Langsam streckte er die Hand aus.
    Später wußte er nicht mehr zu erklären, warum ihn die Anwesenheit der vielen Kapuzenmänner dabei nicht im mindesten störte. Er konnte nur sagen, daß er sich einfach nicht um sie gekümmert hatte, so als würden sie nicht existieren. Alles, was ihn erfüllte, war der brennende Wunsch, diesen Folianten an sich zu bringen, in dem die Geheimnisse der Albigenser und die der ›Loge der Verzehrenden Wahrheit‹ enthalten sein mußten.
    Bill Flemings Hand berührte den kalten Körper des Aufgebahrten.
    In diesem Augenblick schoß eine weiße Schlange aus den Falten des weiten Gewandes. Eine dunkel glänzende Zunge glitt über die Finger des Eindringlings. Ein rosaroter Schlund öffnete sich weit.
    Zwei nadelspitze Zähne glänzten im flackernden Schein der Kerzen.
    Die Schlange biß zu, ohne daß Bill Fleming auch nur eine Bewegung machte. Er ließ es seelenruhig geschehen.
    Zwei winzige Blutstropfen traten aus der Bißstelle. Sie vergrößerten sich schnell, gerieten in Bewegung und fielen auf das Kruzifix des Alten.
    In diesem Augenblick erhob sich ein aufgeregtes Gemurmel im Rücken des Amerikaners. Er schaute sich verwundert um und erschrak.
    Ein paar Dutzend Kapuzenmänner starrten ihn an. Totenschädel grinsten. Leere Augenhöhlen wurden vom Licht zum Leben erweckt.
    Knochenhände streckten sich aus.
    Sphärenmusik erfüllte den unterirdischen Raum.
    Die Dämonen der Finsternis rasten nach ihrem Opfer. Die Meute raubte dem Eindringling den Rest jeder vernünftigen Überlegung.
    Mit einem schnellen Griff wollte er sich in den Besitz des begehrten Dokumentes bringen, auf dem der Kopf des Greises ruhte.
    Mit einem Schmerzensschrei zuckte Bill Fleming zurück.
    Der Geruch verbrannten Fleisches drang in seine Nase. Fassungslos starrte der Mann auf seine Hand. Schwarz eingebrannt zeigte sich auf verkohlter Haut das Wahrzeichen der Sekte: eine Schlange, die sich um den Erdball windet, naturgetreu bis ins kleinste Detail.
    Das Heulen und Johlen, das wahnsinnige Kreischen und Toben in Bill Flemings Rücken erhob sich zum Orkan. Knochenhände wurden klappernd aneinandergeschlagen. Der makabre Beifall, Zeichen teuflischer Freude, betäubte den Zuhörer.
    Noch immer stand Bill Fleming unbeweglich über den Alten gebeugt.
    Er wußte, daß er das Buch nie besitzen würde. Das Geheimnis der Sekte war zu gut geschützt durch allerlei magische Beschwörungen und teuflische Tricks, die es jedem unmöglich machten, die Schrift auch nur für längere Zeit zu berühren.
    Wieder fielen zwei Blutstropfen aus den nadelfeinen Einstichen in der verkohlten Hand des Amerikaners. Sie trafen die Augen des Greises.
    Mit dem Alten ging eine merkwürdige Veränderung vor sich.
    Der Patriarch begann wieder zu atmen. Er seufzte und schlug die Augen auf. Sie waren von einem tiefen Grün. Ihr Blick besaß magische Kraft. Er fesselte das Opfer, schlug es in den Bann.
    Der Alte erhob sich langsam.
    Sein Gesicht verriet, daß er nach mehr Blut dürstete, das ihm für eine Weile seine zweifelhafte Existenz zurückgeben mochte. Sein Mund verzerrte sich in unsagbarer Gier. Wie Messerkerben saßen schmale Lippen unter einer klassischrömischen Adlernase.
    Die
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