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0009 - Der Hexenmeister

0009 - Der Hexenmeister

Titel: 0009 - Der Hexenmeister
Autoren: Gerhart Hartsch
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Und Nicole ahnte, daß sie nicht mehr die gleiche sein würde, wenn sie die Antwort kannte. Niemand beschäftigte sich ungestraft mit den fluchbeladenen Rätseln der Vergangenheit. Wer von der Vergangenheit eingeholt wurde, war verloren.
    »Nun kommen Sie endlich, Nicole«, drängte der Amerikaner ungeduldig. Er hielt das Mädchen noch immer am Handgelenk fest.
    »Wir wollen endlich Quartier beziehen. Ich muß noch eine Menge vorbereiten. Morgen beginnt das große Abenteuer. Ich möchte gewappnet sein.«
    Rücksichtslos zerrte Bill Fleming das Mädchen hinter sich her.
    ***
    Sie fanden ihr Gepäck unversehrt im Schankraum. Niemand hatte sich um Koffer oder Reisetasche gekümmert.
    »Und doch muß jemand im Haus sein«, meinte Bill Fleming. »Ihm verdanken wir – aus welchen Gründen auch immer – diese makabre Begrüßung.«
    »Ich frage mich immer noch, wie das Skelett in den verschlossenen Wagen gekommen ist«, sagte Nicole schaudernd.
    »In den verschlossenen Wagen?« wiederholte der Amerikaner und runzelte die Stirn. »Sie meinen sicher: auf Ihrer Seite verschlossen, nicht wahr, Nicole? Denn es ist durchaus möglich, daß ich beim Aussteigen vergaß, die Tür zu verriegeln. Genügt diese Erklärung?«
    »Die berühmte Skepsis des Wissenschaftlers«, atmete Nicole Duval auf. »Wie es scheint, haben Sie endlich Ihren gesunden Menschenverstand wiederentdeckt, Bill.«
    Der Amerikaner ließ das Mädchen los, das er wie eine Gefangene behandelt hatte. Er grinste. Überhaupt war er wie ausgewechselt, jetzt, wo ihn der Anblick der feuergeschwärzten Basilika nicht länger in den Bann schlug. Fleming war wieder ganz der alte.
    Nicole Duval massierte ihr Handgelenk, das sich unter dem harten Griff ihres Begleiters gerötet hatte und schmerzte.
    Bill Fleming fand im Handumdrehen seinen alten Optimismus wieder. Er begann, das Gebäude systematisch zu durchsuchen und fing im Keller an. Eine Kerze fand er unterwegs auch.
    Nicole Duval hütete sich, allein zurückzubleiben. Sie schloß sich dem nächtlichen Rundgang an.
    Die junge Französin liebte sicher ein Abendessen bei Kerzenlicht.
    Aber in dieser Situation war ihr das flackernde Licht, das die Augen beunruhigte, zuwider. Die Schatten der beiden Besucher fielen riesengroß auf gekalkte Wände. Es roch nach faulen Kartoffeln und Erde.
    Wer immer in diesem abgelegenen Gasthof hauste, hier unten hatte er seine Vorräte gelagert. Regale voller Einmachgläser – alle sauber beschriftet – standen an den Wänden. Die einzelnen Räume waren durch Lattenroste abgeteilt. Irgendwo quiekte eine Ratte.
    Nicole Duval hielt sich eng an Bill Fleming.
    Sie schritten einen Gang entlang, vorbei an Stapeln mit Brennholz.
    In einem Holzblock steckte eine Axt. Die stählerne Schneide reflektierte das warme Kerzenlicht.
    Mit einem Ruck blieb Nicole Duval stehen. Sie machte ihren Begleiter auf eine Beobachtung aufmerksam.
    »Also doch«, sagte Bill Fleming zufrieden.
    Auch er bemerkte den deutlichen Umriß eines Menschen. Es schien sich um eine Frau zu handeln. Das verriet der Knoten, zu dem sie ihr Haar geschlungen hatte. Das kunstvolle Gebilde hob sich deutlich sichtbar vom Schattenriß ab.
    Die alte Dame mußte in einem Schaukelstuhl sitzen. Ihr Körper pendelte leicht hin und her. Sie hatte offenbar ein schwarzes Umschlagtuch über ihre Schultern gelegt.
    »Hallo, Madame!« rief Bill Fleming vernehmlich.
    Er erhielt keine Antwort.
    »Die Alte ist schwerhörig. Das erklärt alles«, brummte der Amerikaner. »Außerdem erwartet sie keine Gäste.«
    Sie drangen in den Verschlag ein.
    »Was treibt sie hier bloß?« fragte Nicole Duval verständnislos.
    Unbeweglich ruhte die alte Dame in ihrem geflochtenen Stuhl.
    »Madame, wir möchten für ein paar Tage bei Ihnen bleiben«, erklärte Bill Fleming.
    Allerlei Gerümpel versperrte ihm den Weg und verhinderte, daß sich der Amerikaner der Frau von vorn nähern konnte.
    Bill Fleming beugte sich vor und tippte der alten Dame auf die knochige Schulter, die hart und fest unter dem Umschlagtuch hervorsprang.
    Die stumme Gestalt im Schaukelstuhl wippte zurück.
    Nicole Duval stieß einen gellenden Schrei aus.
    Tote Augen saßen in einem geisterhaft bleichen Gesicht, das von einer silbergrauen Haarflut eingerahmt war.
    Die Nägel der mumifizierten Toten mußten unaufhörlich weiter gewachsen sein, waren zu entsetzlichen Krallen geworden.
    Bill Fleming hielt die Luft an. Auch ihm war nicht ganz wohl bei dieser unheimlichen Begegnung. Sein Bedarf an
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