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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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historischer Moment, und Heini Boelter war dabei. Doch anders als die Übrigen hier mit ihrem ehrlich wütenden Protest blieb er emotionslos wie ein Krieger, schließlich war er hier so was wie ein Söldner im Dienste von … – ja, von wem eigentlich? CIA ? Secret Service? Mossad? Egal, zweitausend Westmark, dafür lohnte sich der Einsatz. Vielleicht bekam er noch ein paar Anschlussaufträge. Die Zeiten waren wild, und Heini Boelter wollte ebenso wild sein. Vorbei war die biedere Schläfrigkeit der vergangenen Jahre, mit der Staat und Partei das Volk eingelullt hatten. Jetzt ging es endlich mal rund. Wie er das Leben plötzlich spürte, wie aufregend das alles war! Großartig! Das war Rock ‘n’ Roll, was für echte Kerle, für Männer wie Heini »The Checker« Boelter: »Fight, Dance and Love!«
    Plötzlich gaben die Türen des Stasi-Hauptportals unter dem Druck der Menge nach. In einem Sog aus Menschen wurde Boelter ins Innere des mächtigen Plattenbaus und zwischen die Hydrokulturen aus Gummibäumen und Topfpalmen im Foyer gespült. Wieder splitterte Glas, eine Vitrine mit Urkunden und Medaillen »für die vorbildliche Verteidigung des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden« ging zu Bruch. Irgendwo krachte es mehrmals, so als würden Türen eingetreten.
    »Nicht schießen«, brüllte eine Frau hysterisch, und ein anderer rief: »Entwaffnen, die ganze Bande, aber zügig!« Nur war niemand zu sehen, der eine Waffe trug. Nicht mal ein Messerchen wurde gezückt, und im Tumult der Massen ging völlig unter, wer jetzt eigentlich Stasimitarbeiter war und wer das aufgebrachte Volk.
    Links lang, dachte Heini Boelter mit zunehmender Verzweiflung, denn er wurde, ob er nun wollte oder nicht, nach rechts gedrängt. Hilflos kämpfte er gegen den Strom an und fand sich plötzlich in der Kantine des Versorgungstraktes wieder. Umgehend fielen die Menschen über Krimsekt, Lachsbrötchen und Limonenfrüchte her. Räucheraal, Dosen mit Corned Beef und Weinbrand der Marke Asbach Uralt wurden empört herumgezeigt und fotografisch dokumentiert: »Seht mal, die leben hier in Saus und Braus, während das Volk draußen auf der Straße vierzig Jahre lang darben musste!«
    Was sicher unverschämt war, trotzdem verstand Heini Boelter nicht, warum nun die Kantineneinrichtung dafür herhalten musste? Wütende Männer schlugen mit Stühlen auf Getränkeautomaten und zertrümmerten die Auslagen auf dem Tresen. Durch geschlossene Fenster flogen Blumentöpfe auf den Hof – der Frust auf die Stasi-Nasi wurde an Sachwerten abreagiert, was Boelter einmal mehr am Sinn von Revolutionen zweifeln ließ. Mit einem Tischbein bewaffnet, kämpfte er gegen die randalierende Menge an und schaffte es so zum Foyer mit den inzwischen völlig verwüsteten Hydrokulturen zurück.
    Links halten, Treppe runter!
    Und keine Wachen. Der mit surrenden Neonröhren beleuchtete Kellergang war menschenleer. Dritte Tür links, hatte der Borsalinohut gesagt, und dann kam der ABUS -Schrauber zum Einsatz: Akkubetriebener Westdietrich schlägt Sicherheitsschloss aus DDR -Produktion – der Weltenlauf machte vor nichts halt. Vorsichtig öffnete Boelter die Tür und tastete nach einem Lichtschalter. Flackernd gingen an der niedrigen Decke die Leuchtstoffröhren an. Boelter stand in einem weiteren Gang, etwas schmaler als der erste, sonst aber kaum unterscheidbar.
    So weit zur Theorie, dachte Boelter, die Praxis sieht wie immer anders aus. Doch dann entdeckte er kryptisch anmutende Zahlenreihen an den Türen links und rechts des Ganges und seltsame Buchstabenkombinationen. AAA bis ACL , ACM bis AEU – ah, gut so, Boelter war beruhigt, das ging hier ordentlich alphabetisch los, da konnte APT bis ARO nicht weit sein. Die nächste Tür war mit AEW bis AHB beschriftet, dann folgten die Türen WCD und WCH …? Boelter stutzte: Wieso plötzlich WC ? Dann begriff er, dass er vor den Toiletten stand, und lief zügig weiter, bis er die gesuchte Tür mit der richtigen Buchstabenfolge fand.
    Regale mit staubigen Ordnern füllten den Raum, so dicht gestellt, dass gerade einer dieser popeligen Aktenwagen dazwischen passte, die überall im Gang der Nutzung harrten. Vergebens, denn Boelter brauchte nur zwei Ordner, und die würde er sich unter den Arm klemmen, sobald er sie gefunden hatte. Aufmerksam studierte er die Beschriftungen und schlich zwischen den Regalen hindurch.
    Die Arndts schienen wahre Konterrevolutionäre gewesen zu sein, denn es gab gleich mehrere davon:
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