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Russen kommen

Russen kommen

Titel: Russen kommen
Autoren: Eva Rossmann
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    D ie Fenster sind klein, hinter den grün lackierten Fensterkreuzen glitzert der Schnee in der Abendsonne, eine Menge Schnee. Drinnen viel Holz in der Farbe von dunklem Bernstein. Vier Holztische, alle besetzt. Holzdecke. Eine schmale Theke aus Holz. Laute Stimmen vom Nebentisch. Im »Zirben« ist es warm, ich lehne mich zurück. Ich bin angenehm erschöpft nach so viel Bewegung an der frischen Luft, das Schönste aber ist: Ich habe mir nichts gebrochen. Skifahren ist nicht gerade mein Fall. Ich bin zu feige und auch nicht mehr so gut in Form. Oskar hebt sein Glas und lächelt mir zu. Wir stoßen miteinander an, fein klingende Gläser, exquisiter Rotwein, das da ist nicht irgendeine Skihütte in den österreichischen Bergen, es ist eine Skihütte oberhalb von Zürs am Arlberg.
    Hier wird nicht bloß Ski gefahren, hier wird exklusiv gelebt – mit mehr oder weniger Anstrengung, füge ich in Gedanken hinzu, wenn ich an die letzte rote Abfahrt denke. Und hier werden Geschäfte gemacht. Oskar hat einen Termin mit dem Chef seiner Partnerkanzlei in Frankfurt. Es geht um den neuen Kooperationsvertrag. Ich bin mitgefahren. Und der gute Oskar hat mich zum Dank den ganzen Tag über die Hänge getrieben, mit vielen aufmunternden Worten. Irgendwie ist es ja auch ein erhebendes Gefühl, wenn man ein paar Schwünge rund und ohne Gedanken an einen Sturz schafft. Losgelöst. Weiße Wunderlandschaft über Österreich, auch jetzt, Anfang April. Insgeheim habe ich mir gewünscht, es käme ein Warmwettereinbruch. Ich könnte damit leben, die drei Tage am Arlberg spazieren zu gehen und gut zu essen.
    Außerdem arbeite ich an einer Russen-Reportage. Das »Magazin« weiß zwar noch nichts davon, aber immerhin bin ich Chefreporterin und es war vereinbart, dass ich die Themen meiner Reportagen mitbestimmen darf. Seit letzter Woche haben wir einen neuen Chefredakteur, so einen Hübschen vom Fernsehen, er war Moderator einer viel gesehenen Nachrichtensendung, wahrscheinlich hat sich der Herausgeber deswegen für ihn entschieden, man kennt ihn. Was beim »Magazin« am meisten zählt, ist Auflage. Wir sind nicht ohne Grund die größte Wochenzeitung im Land. Wenn auch vielleicht nicht immer die beste. Aber was ist schon gut? Ich seufze zufrieden und nehme noch einen Schluck. Ich sollte die vier Leute am Nebentisch beobachten. Sie reden russisch.
    Ein Mann in rotem Skidress. Er war mit Sicherheit teuer, das sehe ich schon, noch bevor ich am Ärmel »Armani« entziffern kann, die Haare hellbraun, beginnende Stirnglatze, nicht dick, nicht dünn, wohl Anfang bis Mitte vierzig. Er führt das große Wort, ist eindeutig der Boss. Neben ihm eine aparte junge Frau, dunkle lange Haare, schmales Gesicht mit dunklen Augen, kaum geschminkt, zierlich, weißer Skioverall. Das Oberteil hat sie sich um die Hüften gewickelt, kurzärmliges schwarzes T-Shirt, kleiner, fester Busen. Sie sagt nicht viel. Seine Frau? Sie ist wohl zwanzig Jahre jünger als er. Sie wirken nicht wie verheiratet. Seine Freundin? Dazu sitzt sie zu weit von ihm entfernt. Sie scheint dem, was er sagt, auch nicht zu folgen, sie sieht zur Theke und wirkt sehr weit fort. Dafür drückt sich die zweite junge Frau so eng wie möglich an ihren Begleiter. Sie ist stark geschminkt, Pink- und Blautöne, eine sorgsam bemalte Porzellanpuppe. Er ist in etwa gleich alt wie der andere Mann, aber eindeutig unterlegen, daran können auch seine Muskeln und sein dichtes blondes Haar nichts ändern. Ich lächle. Dian Fossey und ihre »Gorillas im Nebel« – Verhaltensforschung am Arlberg. Worin besteht der tiefere Grund, dass die bunte Frau ihre ursprünglich dunklen Haare blond gefärbt hat? »Blond und blöd schnackselt gut«, sagen die zwei Macho-Rüpel aus unserer Fotoredaktion in so einem Fall. Meine Antwort hat ihnen weniger gefallen: »Wer es mit euch macht, muss jedenfalls blöd sein.« Will der Muskelmann durch die dicke Goldkette um seinen Hals nachweisen, was er als Mann alles draufhat? Und: Warum ist der eher farblose und ungeschmückte Russe dennoch der Leader am Tisch?
    »Was ist?«, fragt Oskar. »Du murmelst vor dich hin.«
    »Ich betreibe Verhaltensforschung«, flüstere ich und deute auf die vier Russen.
    »Ist das nicht ein bisschen überheblich?«
    Ich grinse. »Ich kann kein Russisch, also bleibt mir nur das Beobachten. Spannend.«
    Oskar lacht leise, nimmt noch einen Schluck und dehnt seine Muskeln. Er ist der deutlich bessere Skifahrer von uns beiden, er hat den Tag
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