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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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der Motzstraße prompt in ein schwules Straßenfest. Überall martialisch aussehende Männer in Tarnkleidung und engen Lederklamotten, die sich ganz unmartialisch küssten!
    Arndt war entsetzt. Er wollte rasch wenden, weg hier, nur weg, das war ja abartig. Er war so aufgeregt, dass er den Motor abwürgte und dann mitten auf der Straße stehen blieb. Schon kam unter einem riesigen bonbonfarbenen Schirm eine Frau mit irrsinnig langen Beinen und roter Lockenmähne heran und zog lasziv an einer Zigarette. Beim näheren Hinsehen stellte sich aber auch die Langbeinige als Mann heraus.
    Gott, dachte Arndt, wo bin ich hier nur reingeraten? Er trat die Kupplung durch, startete den Zweitaktmotor, würgte den Gang rein. Der Wartburg machte einen Satz nach vorn, direkt auf eine skurrile Herrenkapelle zu, die in zu kurzen Matrosenkleidchen und Zopfperücken mit viel Tschingderrassabum und Fernwehtremolo »Kapitän, nimm mich mit auf die Reise« spielte.
    Arndt beendete sein missglücktes Wendemanöver und schoss, als sei der Teufel hinter ihm her, davon. Zurück über die Grunewaldstraße auf die andere Seite der Eisenacher und nach knapp achtzig Metern scharf abgebremst. An der Ecke zur Belziger Straße war sein Ziel. Ein Italiener. »Trattoria L’Emigrante«. Der Treffpunkt.
    Jan Frido Arndt fand einen Parkplatz und blieb noch einen Moment im Wagen sitzen, um sich zu sammeln. Er besah sich im Rückspiegel und strich sein schütteres graues Haar zurück. Er sah gut aus, war braungebrannt und noch recht fit. Obwohl er keine Landwirtschaft mehr betrieb, war er oft draußen auf seinen Feldern an der Sonne. Er saß nicht gern in Räumen herum. Zu keiner Jahreszeit. Und jetzt wollte er viel reisen. Nicht in Städte, sondern durch Landschaften. Es gab so viel zu sehen auf der Welt. Frankreich, die Normandie, wo sein Vater im Krieg die Landung der Alliierten überlebt hatte. Dann Spanien, von der Costa Brava bis an die Algarve in Portugal. Nebenan Gibraltar, da ist es nur noch einen Katzensprung bis rüber nach Marokko. Das hört sich schon an wie aus Lawrence von Arabien, und Casablanca wollte er auch unbedingt besuchen, wegen Humphrey Bogart. Vielleicht gab es Rick’s Café ja noch – Herrgott, fünfundsechzig Jahre war Arndt jetzt, da gingen andere in Rente. Er dagegen würde ein völlig neues Leben anfangen.
    Er griff ins Handschuhfach, holte eine Krawatte hervor und band sie sich umständlich um. Kein Windsorknoten, der einfache war schwer genug. Er besaß ohnehin nur diese eine Krawatte. Traudl hatte sie ihm zur Hochzeit geschenkt. Danach hatte er sie nur noch zu Traudls Beerdigung getragen – und heute. Es erschien ihm angemessen, obwohl er Krawatten absolut nicht mochte. Unerklärlich war, dass sich derart unpraktische Accessoires in der Herrenbekleidung so lange halten konnten. Hüte waren längst aus der Mode, obwohl Arndt sie immer gern getragen hatte. Die verhasste Krawatte dagegen gab es seit über hundert Jahren, und nichts deutete darauf hin, dass sich daran in nächster Zeit irgendetwas ändern würde.
    Er warf noch einmal einen kontrollierenden Blick in den Spiegel, griff nach dem Sakko auf der Rückbank und stieg aus dem Wagen.
    » Bongiorno , Signore Arndt!« Die Italiener sprangen zeitgleich auf, als er das Restaurant betrat, und es sah aus wie Ballett. Sie führten ihn mit geschmeidigen Bewegungen durch den mit viel Holz und mediterranem Nippes dekorierten Gastraum. Es waren nur wenige Gäste da. Aus den Boxen drang gedämpft Gianna Nanninis Stimme, »Un’estate Italiana«, und überall standen Magnumflaschen mit rotem WM-Wein herum, der von der Fußballweltmeisterschaft übrig geblieben war. Vermutlich weil nicht Italien, sondern Beckenbauers Mannschaft das Finale gewonnen hatte. Ja, das war ein großes Jahr für die Deutschen. Und ein großes Jahr für Jan Frido Arndt.
    Die beiden Italiener öffneten eine versteckte Tür zu einem separaten, schlichter gehaltenen Hinterzimmer und baten ihn herein. Weiß verputzte Wände, ein rustikales Weinregal und eine lange Tafel aus massivem Pinienholz im selben Stil mit acht Stühlen drum herum. Auf dem Tisch standen Karaffen mit stillem Wasser, dazu kleine silberne Tabletts mit Gläsern, Saft und Colaflaschen.
    Wie für eine Konferenz, dachte Arndt, obwohl er selbst noch nie auf einer gewesen war.
    »Bitte, Signore!« Einer der Italiener rückte ihm einen Stuhl zurecht, »machen Sie es sich bequem. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Fahrt?«
    »Danke, ging so«, antwortete
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