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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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entfernt, und komme mir dennoch vor, als trennten mich Lichtjahre von zu Hause. Zwischen kaputten Fassaden triste Flachbauten, die sich jetzt Supermärkte nennen, obwohl sie immer noch nach HO -Kaufhalle aussehen. Lediglich die knalligen Leuchtreklamen auf den Dächern deuten darauf hin, dass es hier jetzt was zu kaufen gibt. Überall leuchtet Reichelt, EDEKA und Kaiser’s. Westlicher Lebensstil, so lerne ich, kommt zuerst als Reklame. Coca-Cola, Sony, Neckermann schreit es von Häusern, die zuerst mal eine Generalsanierung bräuchten.
    Wir biegen nach links in die Dimitroffstraße ein, fahren ein Stück und dann die Lychener hoch. Die geparkten Trabis an den Straßenrändern werden allmählich von gebrauchten Opels und Fords verdrängt.
    Der Helmholtzplatz ist ein Geviert aus abblätternden, maroden Mietskasernen aus der Kaiserzeit. Mittig gibt es einen Bolzplatz in einer vermüllten Grünanlage, die von abgestellten Kohlenanhängern gesäumt wird. Alles wirkt grau, bis auf zwei Häuser, deren Fronten mit bunten, selbst gemalten Plakaten verhängt sind. »MIETHAIE ZU FISCHSTÄBCHEN«, fordern sie und propagieren die »AUTONOME REPUBLIK HELMHOLTZKIEZ«. Dazwischen steht eine ausgebrannte Ruine, die mit rot-weißen Absperrbändern umzäunt ist. Mehrere nass glänzende Feuerwehren, ein Lada der Volkspolizei und zwei graue Barkas-Kleintransporter, offenbar von den Ostberliner Brandermittlern und der Spurensicherung, parken davor.
    Der Robur stoppt, wir klappen unsere Schirme auf und steigen aus. Intensiver Brandgeruch liegt in der Luft. Zwar ist die Einheit beschlossen, aber noch gibt es die Deutsche Demokratische Republik. Hünerbein und ich haben hier nur beratende Funktion, und deshalb läuft der ehemalige VP -Major und heutige Kriminalrat Egon Beylich als noch amtierender KA -Chef zur Hochform auf.
    »So, Genossen«, ruft er zackig, »zeigen wir unseren Westberliner Kollegen mal, was effektive kriminalistische Arbeit ist! Krause, Bartsch, Sakowski – Zeugenbefragung, Branner, Sicken, Urban – Fallsondierung, Lemke, Roth, Weiniger – Tatortsicherung, Schwartz, Grothe, Matuschka – Spuren! Noch Fragen?«
    »Keine, Genosse Major«, echot es straff zurück.
    »WIE HEISST DAS JETZT?«, donnert Beylich. »Matuschka!«
    »Kriminalrat, Genosse Major!«, kräht Matuschka und stockt. »Also ohne Major jedenfalls«, stammelt er dann.
    »Schon gut«, knurrt Beylich versöhnlicher, »ich kann Sie ja alle verstehen. In zwei Stunden Rapport mit Brandermittlern und Spurensicherung, abtreten!« Kein Zweifel, Beylich hat seine Leute im Griff. Vermutlich bringt er auch eine Hundertschaft auf Trab, wenn man ihn lässt. Nur er selbst nimmt vor dem Regen im Robur Schutz und blättert gelangweilt in einer Zeitung. Es ist das Parteiorgan der zur PDS umbenannten ehemaligen Staatspartei SED und hat den passenden Namen »Neues Deutschland«.
    Mich wundert, dass Beylich als leitender Ermittler den Tatort nicht selbst in Augenschein nehmen will, und sage es Hünerbein.
    »Die machen es halt wie die Amis«, erwidert der, »totale Teamarbeit, die lassen auch nur noch die Spezialisten raus.«
    Die Amis also, denke ich, Spezialisten, klar.
    »Wahrscheinlich haben sie das von den Russen. Die arbeiten genauso«, überlegt Hünerbein. Irgendwo hat er mal gelesen, dass sich die Supermächte ähnlicher sind, als sie es wahrhaben wollen.
    Ich bin unruhig, mir brennt die Sache mit Melanie unter den Nägeln. Ich wusste ja von ihren Punkerfreunden, hielt das aber mehr für Kindereien, für ein pubertäres Spiel. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, dass sie auch Kontakte zur autonomen Szene hat. Vielleicht war ich naiv.
    An den Absperrungen haben sich die Besetzer der zwei verbliebenen Häuser versammelt. Sie werden von den drei von Beylich dazu abkommandierten Kriminalpolizisten unter feuchten Schirmen befragt. Etwas abseits, in einem Hauseingang, steht ein Punk mit einem beeindruckenden Irokesenschnitt, und wohl deshalb wende ich mich ihm zu. Er strahlt Würde aus, scheint so was wie ein Anführer, ein Indianerhäuptling zu sein.
    »How«, sage ich, »können wir reden?«
    »Ich kann«, erwidert der Irokese trocken. »Und du ja wohl auch, wie du gerade bewiesen hast. Die Frage ist: Worüber willst du reden?«
    Ich hole meine Brieftasche hervor. In der Innenseite steckt ein Foto, das ich von Melanie und ihrer Mutter Monika im Sommer auf Mallorca mit meiner Polaroid gemacht habe. Beide lachen, beide sind braungebrannt und wunderschön. Ich zeige
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