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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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das Bild dem Irokesen.
    »Kennen Sie das Mädchen?«
    »Wer will das wissen?«
    »Ich bin ihr Vater«, erkläre ich ihm, »und mache mir Sorgen. Sie war offenbar in der Brandnacht im Haus und ist seither nicht wieder aufgetaucht.«
    Der Irokese nickt verständig und schweigt.
    »Kennen Sie sie nun?«, frage ich ungeduldig. »Wissen Sie, wo sie steckt?«
    Der Irokese besieht sich nachdenklich das Bild. »Hübsches Ding«, sagt er schließlich, »Stammgast im Massengrab.«
    Ich verstehe kein Wort, oder besser: Das, was ich verstehe, klingt nicht nach dem, was ich hören will. »Sagten Sie ›Massengrab‹?«
    »Mhm«, macht der Irokese gedehnt. Er tritt aus dem Hauseingang heraus und deutet auf die Ruine nebenan. »Da ging’s rein.«
    Ich starre auf das ausgebrannte Haus. Tatsächlich sind über dem Souterrain ein paar verrußte Buchstaben zu sehen. Düstere gotische Lettern auf schwarzem Grund: »..SS.N.RAB« Den Rest haben die Flammen gefressen.
    »So ‘ne Art Volxküche«, erklärt der Irokese und nimmt mir den Schirm ab, damit die Indianerfrisur trocken bleibt: »Scharfes Essen, hochprozentige Getränke, abgefahrene Musik. Das Massengrab war gut besucht.«
    »Und meine Tochter war Stammgast in diesem …«
    »Massengrab«, der Irokese grinst, »stört dich der Name?«
    »Bisschen ungewöhnlich für ‘ne Kneipe, finden Sie nicht?«
    »Macht aber Sinn«, erwidert der Irokese, »die Leute saufen sich ja gern mal einen an. Und dann musst du sie raustragen.«
    »Sprechen Sie aus Erfahrung?«
    »Ich war der Mann am Tresen«, erklärt der Irokese würdevoll.
    Barkeeper im Massengrab, denke ich, auf so was muss man erst mal kommen.
    »Natürlich gab es Debatten im Plenum.« Der Irokese gibt mir den Schirm zurück und tritt wieder in den Hauseingang, »von wegen political correctness und so. Da gab es schon den einen oder anderen, der sich durch die Bezeichnung ›Massengrab‹ an den Holocaust erinnert gefühlt hat.«
    »Was so abwegig nicht ist«, gebe ich zu bedenken.
    »Trotzdem ‘n geiler Name für ‘ne Trinkhalle.« Der Irokese lächelt melancholisch. »Ist echt schade drum.«
    »Und meine Tochter war da gestern drin?«
    Der Irokese nickt: »Aber keine Sorge, Vatta, die hat nur Cola getrunken.«
    »Ja, und dann«, rege ich mich auf, »wo war sie dann?« Als könnte mich Cola beruhigen.
    »Keine Ahnung. Es hat gebrannt, und wir sind raus.«
    »Melanie auch?« Mensch, Junge, denk nach!
    »Hey, keep cool , Alter«, der Irokese bietet mir eine Selbstgedrehte an, »unsere Leute sind auch noch nicht vollzählig.«
    »Mal den Kran her«, ruft plötzlich ein Feuerwehrmann aus dem dritten Stock der Brandruine. Kurz darauf setzt sich surrend der Drehkran auf einem der Löschfahrzeuge in Gang. Zwei Feuerwehrmänner wuchten einen grauen Kunststoffsarg aus dem Fenster und schieben ihn auf die Plattform des Krans. Schutt fällt herab. »Langsam runterlassen! Vorsicht!«
    Nervös gehe ich mit meinem Schirm rüber zu Hünerbein und sehe dem Drehkran zu. Mir ist ganz schlecht vor Anspannung und Sorge. Du lieber Himmel, was sage ich bloß Monika, denke ich hilflos, wenn unser Spatz da drin ist? Das überlebt die nicht. Das überlebe ich nicht!
    Kaum ist der Sarg unten, laufe ich drauf zu. »Machen Sie auf!«
    Beylich ist aus dem Bus geklettert und hält mich zurück: »Wollen Sie sich den Anblick wirklich antun, Hauptkommissar?«
    »AUFMACHEN!«, brülle ich.
    Die Feuerwehrleute reagieren erschrocken und klappen unverzüglich den Deckel hoch. Widerlicher Geruch von Ruß und verbranntem Fleisch steigt mir in die Nase. Zuerst erkenne ich nicht viel mehr als einen rußigen Klumpen. Dann sehe ich die Reste einer Bikerlederjacke und verkohlte Haut. Brandblasen wie in einer schwarzen Lavalandschaft. Wo sie aufgeplatzt sind, schimmert in kleinen Kratern wässriges rosa Fleisch. Mir wird übel, und ich wende mich ab.
    »Und?«, fragt Hünerbein.
    Ich zucke hilflos mit den Schultern und setze mich, nach Luft ringend, auf den feuchten Rinnstein.
    »Hier!« Beylich reicht mir eine Thermoskanne. »Kamillentee hilft.«
    »Danke«, keuche ich und trinke. Die Lederjacke, denke ich nur, verdammt, genau so eine trägt Melanie auch. – Aber haben die Punks hier nicht alle solche Jacken? Schwarz, mit Nieten und Anarchosternen am Kragen? – Was, verdammt, hat sie in dem Haus gemacht?
    »Da oben hat Dark sein Zimmer.« Der Irokese ist unter den Absperrungen durchgetaucht und starrt bleich durch den Regen auf den grauen Kunststoffsarg. »Mensch,
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