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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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Arndt mit seltsam belegter Stimme, »ich kenne mich ja im Westen nicht so aus und verfahre mich dauernd.« Er lächelte unsicher. »Trotz Ihrer recht guten Wegbeschreibung.«
    »Nun, Sie haben uns gefunden«, der Italiener machte einem Kellner Platz, der einen Teller Bruschetta auf den Tisch stellte und kaum hörbar buon appetito wünschte.
    »Das ist die Hauptsache«, pflichtete der zweite Italiener bei, und Arndt überlegte, welcher von den beiden nun Francesco und wer Giuseppe war. Sie hatten sich ihm schon vor Monaten vorgestellt, zwei Brüder aus dem kalabrischen San Luca, die sich so ähnlich sahen, dass Arndt sie immer wieder verwechselte.
    Im Frühjahr waren sie das erste Mal auf Arndts Hof bei Selchow aufgetaucht, junge Burschen in Barbour-Jacken und feschen Schirmmützen aus englischem Tweed. Sie waren mit einem roten Alfa Spider vorgefahren und hatten sich interessiert umgesehen. Sie blätterten in Aktenmappen und sprachen von der Zukunft Berlins als Metropole im Herzen des neuen Europa. An der Schnittstelle von Ost und West, Nord und Süd. Künftig würden hier alle Fäden zusammenlaufen, politisch, kulturell und wirtschaftlich. Ein europäisches New York sozusagen, und allein der Gedanke machte Arndt Angst. Da gab es doch diesen Film mit Paul Newman als heruntergekommenem Bullen in der Bronx. Ein einsamer Cop im Sumpf der Ghettos voller Kriminalität und Gewalt – nein danke, Arndt lachte, in so einer Stadt wolle er nicht leben.
    »Müssen Sie nicht«, lächelten die Italiener beruhigend und schlugen ihm vor, seinen Hof zu verkaufen. Gutes Ackerland, zehn Hektar groß und direkt an der Stadtgrenze Berlins.
    Arndt winkte ab. Den Hof hatte er von seinen Eltern geerbt, das war Bodenreformland, und sie hatten sich jahrzehntelang lang allen kommunistischen Zwangskollektivierungsversuchen widersetzt. Trotz der Repressalien, trotz vieler Drohungen. Mutter hatte es fast umgebracht vor Gram, und Vater hatte, verunglimpft als Staatsfeind, lange im Gefängnis gesessen. Aber der Hof war immer picobello in Schuss, koste es, was es wolle. Und jetzt sollte er ihn verkaufen? Nein, das brachte Arndt nicht übers Herz, niemals!
    Die Italiener blieben hartnäckig. Berlin werde expandieren, sagten sie. Bis zum Ende des Jahrtausends würden sechs bis acht Millionen Menschen in der Stadt leben, in der Kapitale Europas, Drehscheibe für die ganze Welt. Schon heute konnten die Berliner Flughäfen das rasant wachsende Passagieraufkommen kaum bewältigen, und selbst wenn die Amerikaner das Tempelhofer Feld für den zivilen Flugverkehr öffnen würden, müsse ein neuer Großflughafen her. »Was meinen Sie, Signore Arndt? Wo wird dieser Airport gebaut werden, wenn nicht hier?«
    Arndt kannte die Pläne. Im Dorf munkelten sie, dass der alte Ostberliner Flughafen Schönefeld zu einem gigantischen Luftverkehrskreuz ausgebaut werden solle. Schon hatten sich Bürgerinitiativen dagegen gegründet, es wurden Unterschriften gesammelt und Petitionen geschrieben, denn natürlich wollte niemand in der Einflugschneise eines Großflughafens leben. Die Bürger fürchteten um ihr Zuhause, und sie würden darum kämpfen, sie hatten ja keine andere Wahl.
    »Wer sagt Ihnen denn«, fragte Arndt deshalb die Italiener, »dass der Flughafen tatsächlich hier gebaut wird? Noch ist nichts entschieden. Vielleicht wird ja Tegel erweitert. Oder sie bauen irgendwo anders. In der Zeitung stand neulich, dass Jüterbog …«
    »Jüterbog!« Die Italiener winkten lachend ab. Der alte russische Militärflughafen geisterte immer mal wieder als Alternative durch die Presse. Tatsächlich aber war er zu weit weg. »Siebzig Kilometer in der Pampa, Signore. Kein Autobahnanschluss, keine Stadtbahnverbindung. Jüterbog können Sie vergessen!«
    Trotzdem: Arnd blieb dabei. Er verkaufe nicht. Nicht für eine Million.
    Und dann boten sie ihm zehn. Zehn Millionen Deutsche Mark! Arndt saß da und schnappte nach Luft. Du lieber Gott, zehn Mille! Er hatte keine Vorstellung, wie viele Scheine das waren – vermutlich ein ganzer Berg – und alles in West! Was, um Himmels willen, sollte er mit so viel Geld anfangen? Das war eine unglaubliche Summe, einfach nicht zu fassen!
    Die Italiener ließen nicht locker, und natürlich waren es Spekulanten. In ganz Berlin ging das jetzt so. Überall tauchten plötzlich Leute auf mit Koffern voller Geld und kauften, was zu kaufen war. Grundstücke, Häuser, Erbpachtverträge. Es schien so einfach. Binnen weniger Jahre würden die Preise in
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