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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem
Autoren: Wolfgang Burger
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    Erst Wochen später, als wir längst im tiefsten Schlamassel steckten, wurde mir bewusst, dass ich die Frau mit der Perlenkette in den Minuten zum ersten Mal sah, als Patrick Grotheer seinem Mörder die Tür öffnete.
    Liebekind, der Chef der Heidelberger Polizeidirektion, hatte mir zu Ehren einen kleinen Empfang organisiert: im dritten Stock des modernen Gebäudes, im großen Besprechungsraum, dessen altmodische schwere Stühle man an der Wand entlang gestapelt hatte, um Platz für die anwesenden Personen zu schaffen. Es war Mittwoch, der siebenundzwanzigste August. Nach einem überschwemmungsreichen Sommer war es endlich doch noch trocken, sonnig und schließlich heiß geworden. Seit Tagen fiel das Thermometer nachts nicht mehr unter fünfundzwanzig Grad. Meine Zwillinge hatten immer noch Ferien und langweilten sich die meiste Zeit.
    Sogar ein paar Vertreter der Kommunalpolitik waren da: Zwei ständig auf die Uhr sehende Stadträte und Bürgermeister Schreber, zuständig für Straßenbau und die städtische Ordnung, die in Heidelberg im Großen und Ganzen durch verloren gegangene japanische Touristen oder über die Stränge schlagende Studenten gefährdet war. Hatte ich zumindest bis zu diesem Zeitpunkt gedacht. Es herrschte eine Höllenhitze, und der Sekt in den Gläsern wurde schneller warm, als man ihn trinken konnte. Dazu passend gab es ein lauwarmes Büfett, das gar nicht mal übel schmeckte. Launige Reden wurden gehalten, ich schnappte Worte auf wie »Blitzkarriere«, »der rechte Mann am richtigen Ort«, »Fortführung einer großen Tradition« und war die meiste Zeit damit beschäftigt, mir den Schweiß von der Stirn zu wischen.
    Mir grauste vor dem Moment, in dem ich das tun sollte, was ich nie im Leben wollte: mich vorstellen, mich wichtig machen, eine Rede halten. Eine kurze nur, hatte mir Liebekind mit wohlwollendem Schulterklopfen erklärt, aber eine Rede eben, vor viel zu vielen Zuhörern.
    »Das wird nun öfter auf Sie zukommen in Zukunft, Herr Gerlach«, hatte er schmunzelnd gebrummt. »So ist das nun mal, wenn man sich nach oben gestrampelt hat. Werden sich dran gewöhnen. Ist noch keiner dran gestorben.«
    Seine eigenen »Worte« waren wohltuend kurz und der Temperatur angemessen. Er lobte meinen Vorgänger Seifried, der praktisch in Ausübung seines Dienstes sein Leben hatte lassen müssen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings bereits, dass er nach einer außerordentlich gelungenen Weihnachtsfeier seinen goldmetallicfarbenen Opel Calibra auf der kerzengeraden Speyerer Straße kurz hinter dem Ortsschild mit hundertfünfzig gegen einen Brückenpfeiler gesetzt hatte. Sogar ein Foto aus einer automatischen Radarkamera hatte man verschwinden lassen müssen, um seine Witwe nicht um ihre Pensionsansprüche zu bringen.
    Liebekind verlor noch ein paar Bemerkungen zu den großartigen Mitarbeitern der Polizeidirektion im Allgemeinen und der Kripo im Besonderen. Dann hörte ich es zum ersten Mal in der Öffentlichkeit: Kriminalrat Alexander Gerlach, der neue Leiter der Kriminalpolizei unserer traditionsreichen Stadt, auf die die Welt schaut. Und schließlich war ich dran.
    Ich fummelte meinen Zettel aus der Gesäßtasche der Anzughose, trat an das Rednerpult und ließ mir von meinem zukünftigen Chef, der mir mit seiner gemütlichen und nachdenklichen Art schon beim ersten Gespräch sympathisch gewesen war, lange und überaus kräftig die Hand schütteln.
     
    Ich weiß nicht, ob Patrick Grotheer überrascht war, als nicht der vor ihm stand, den er erwartet hatte. Ich weiß nicht, was er dachte in den wenigen Sekunden, bevor sein Gast die Tür hinter sich zutrat. Mit Sicherheit aber muss er sehr überrascht gewesen sein, als er endlich verstand, was die tödliche Absicht seines Besuchers war.
     
    Das Pult war zu wackelig, als dass man sich wirklich daran hätte festhalten können. Um zu Atem und Stimme zu kommen, sah ich, wie ich hoffte, ausdrucksvoll in die Runde. Es wurde ruhiger und ruhiger. Manche räusperten sich an meiner Stelle. Hinten beim Büfett standen die Zwillinge mit vollen Mündern, roten Backen und leuchtenden Augen. Ihr Paps auf einem Podium und mit einem Mikrophon vor dem Mund, cool!
    »Sehr geehrter Herr Doktor Liebekind, sehr geehrter Herr Bürgermeister Schreber, verehrte Vertreter des Stadtrats, liebe zukünftige Kolleginnen und Kollegen.« Meine Stimme klang nicht ganz so zittrig, wie ich mich fühlte. Die Zwillinge wagten schon wieder zu kauen und nickten sich zufrieden zu.
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