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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien
Autoren: Nina Bußmann
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S teil geneigte Rampen führten in die Garagen der Siedlung am Hang. Zuvor in je einseitig von einer Mauer, gegenüber von steilen Grasböschungen eingefasste Schächte. Dort blieb es auch hochsommers für die meisten Stunden des Tages dunkel und kühl. Die Steine speicherten die Nässe des Taus und der jüngsten Unwetter. Durchscheinendes Gespinst aus Algen überzog die Pflasterung, aus Pilzen und Flechten. Unter dem Ablassgitter stand das Regenwasser bis knapp an den Rost. Aus den Fugen zwischen den Pflasterplatten trieb vergeiltes Grün. Flach an den Boden gedrückte Grasrosetten, bleiche Pfeilkresse und Beifuß, fiederteilig belaubt, an den Stängeln behaart. Am Rand der Rampe, zur Böschung hin, Trupps von Taubnesseln, Schierling und Persischem Ehrenpreis.
     
    Man sieht nicht, wie das Kraut wächst. Über Nacht ist es da. Einige wehren sich mit Gift gegen den unerwünschten Bewuchs, viele greifen zu Gasbrennern, armschlanken Apparaten; sie töten das Grün eilends ab, ohne dass man sich auch nur bücken muss. Das sieht schön aus, schön und vornehm. Auf Dauer wirksam ist es nicht. Schramm scharrte. Er hieb die Spitzhacke tief in die Ritzen, bis er die Stränge der Wurzeln zu fassen bekam, und lockerte sie in kleinen, wiederholten Bewegungen, einem Rucken und Hebeln. Manche Triebe ließen sich dann sogar schon mit den Fingern herauszupfen, andere durch Ziehen mit verkanteter Klinge heranholen; abschließend schabte er die Reste der Wurzelhärchen aus der Fuge. In hartnäckigen Fällen, bei schon verholztem, fest verhaftetem Wurzelstock, benutzte er zum Lösen ein Fahrtenmesser. Für besonders verengte Partien ein von ihm selbst hergestelltes Werkzeug. Einen etwa ellenlangen, am Ende zum spitzen Widerhaken gebogenen Draht.
    Mit der Arbeit musste früh begonnen werden, noch im Morgendämmern. Das war die wertvollste Zeit. Solange die Luft in Schwaden über den nassen Gärten stand. Stille herrschte. Das war das Wichtigste. Kein Geräusch bis auf das Kratzen seiner Klinge am Stein. Aus einer Entfernung der Lieferverkehr vom Autobahnzubringer und in halbstündigen Abständen das Surren der Züge von der Bahntrasse im Tal. In der Siedlung schliefen die Hunde, die Rollläden waren herabgelassen. Meist nicht zur Gänze. Es blieb oberhalb der Fensterbrüstung ein Abstand, ein flaches Rechteck. Hinter den Mullvorhängen regte sich nichts, legte Haar sich dünn an faltigem Stoff, und in den Küchen vibrierten die Eisschränke. Und wer schon um diese Zeit keinen Schlaf mehr fand, ging dennoch nicht aus dem Haus. Der lag und horchte und wartete ab, lag und äugte zur Orchideenpflanze auf der Fensterbank, einem unter dem Gewicht der Blütenköpfe gebeugten, von mehreren Haltevorrichtungen gestützten Stamm. Zu oft hatte Schramm so dagelegen, steifkiefrig geharrt, dass der Morgen den Hang hinaufgekrochen käme. Rücklings, die Arme an den Seiten, mit hochgezogenen Schultern hatte er stillgehalten und auf die Laute aus dem Wald gehört. Balgende Katzen und das Schreien des Käuzchens. Neuerdings Schwarzwild. Die Überläufer schlugen sich durch das Gehölz bei den Tennisplätzen und kamen die Schonung hinab. Die Tiere vermehrten sich, da Feinde fehlten, rasch. Er hatte ihr Tappen und Schmatzen gehört, das Knacken junger Äste unter ihren Hufen. Sein Gehör war fein. Allzu fein. Was hatte er davon. Harren und horchen. Als könnte man nicht die wache Zeit nutzen, selbst das Tagwerk zu beginnen: Es fiel jedenfalls hinreichend an.
    Viele meinen, das Jäten von Hand sei schädlich für Kreuz und Haltung, doch das trifft nicht zu. Man muss knien, kauern oder hocken, anders geht es nicht. Einseitige Belastung ist zu vermeiden. Schramm achtete auf Pausen, er wusste, er musste vorsichtig sein. Wenn er nur vernünftig blieb und vorsichtig, würde es nicht noch einmal passieren. Wichtig war, nicht in Eile zu geraten. Davon hing fast alles ab. Verblieben in der Tiefe der Fugen Rückstände von Wurzeln, bildeten sich leicht neue Triebe und erneut kam es zu unerwünschtem Bewuchs. Bei manchen Gewächsen war es eine Sache von Tagen. Am Ende der bearbeiteten Fläche angelangt, müsste er in absehbarer Zeit wieder von vorn beginnen, wenn er nicht von Anfang an bei der Sache blieb, wenn er, in der vielleicht kaum bewussten Hoffnung, das Ganze doch etwas abkürzen zu können, hier und da ein Hälmchen oder ganze Pflanzkörper übersah. Hast schadet bloß, aber das sagt sich leicht. Er hatte sich die ganze Auffahrt vorgenommen, spätestens bis
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